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Es werden Posts vom 2020 angezeigt.

Ein vorsichtiges Resümee

 Wir waren vielleicht noch nie in der Menschheitsgeschichte so frei. Frei von Zwängen, von der Notwendigkeit, harte körperliche Arbeit zum Zweck des Überlebens zu verrichten, frei von Normen. Jede und jeder kann sein Leben innerhalb gewisser Grenzen so leben, wie sie oder er möchte.  Macht uns das glücklicher? Das frage ich mich.  Wie immer, kann ich mich zur Beantwortung nur auf mich selbst als Beobachtungsobjekt und höchstenfalls noch ein paar Individuen um mich herum berufen. Ich weile jedoch erst eine recht überschaubare Zeit auf diesem Planeten und bin deshalb auf literarische Zeugnisse aus anderen Zeiten und meine eigenen Vermutungen angewiesen.  Beruflich würde ich uns (jedenfalls in der westlichen Welt und mit einigermaßen sichergestelltem Zugang zu Bildung und Teilhabe) mal ein dickes Plus an Zufriedenheit attestieren. Wir können eigentlich werden, was wir möchten und müssen das auch nicht für immer bleiben. Dass viele Menschen immer noch sehr hart arbeiten müssen, sehen wir s

Was mir Angst macht (achso, und Freude)

 Dieser Tage habe ich viel Zeit, was eigentlich etwas Tolles ist, schließlich ist sie fast das Einzige, was in unserer privilegierten westlichen Welt noch endlich ist. Man muss sie aber gut zu füllen wissen. Wissen tue ich das auch, nur mit dem Tun sieht es wie so oft meistens anders aus. Freie Zeit lässt sich auch ganz wunderbar vergrübeln. Sie schmilzt in Gedankenkreisen wie ein Eis im Backofen. Ich nähre und züchte mit viel Zeit und Zuwendung meine Ängste. Damit die mal irgendwo anders rumtollen außer in meinem Kopf, lege ich sie hier dar. Vielleicht geht es einem/einer von euch ähnlich.  - Dass die Welt - oder zumindest meine - nie wieder wird wie vorher. Die Pandemie wird Einiges verändern, ja. Aber ich meine die grundsätzlichen Dinge. Prinzipien und für mich feststehende Maximen: Soziale Kontakte treffen können. Dass jeden Tag auch viele gute Dinge passieren und uns persönlich oder in den Nachrichten überraschen. Dass Hobbies und Freizeitaktivitäten uneingeschränkt möglich sind.

Neue Normalität

 Meine Schrecktoleranz ist gestiegen. Dinge, die mich vorher erstaunt bis geängstigt hätten, bewirken nur noch ein müdes "Aha". Ich rechne mit allem. Nach neun Monaten Leben in Habachtstellung - mal mehr, mal weniger - scheint es kein "Davor" mehr zu geben. Wenn Menschen in Büchern oder Filmen keinen Mundschutz tragen, Restaurants besuchen, zuckt es in mir. Wie lange ist das her, dass so etwas ganz normal war, Alltag?  Lange, scheint mir. Ich habe mich an die neue Normalität gewöhnt. Soziale Kontakte sind bei mir assoziiert mit Frieren, Bars und Cafés sind Relikte aus früheren Zeiten. Ob wir die wohl noch einmal geöffnet erleben?, frage ich mich und weiß nicht, wie weit ich mit diesen Zweifeln von der Realität entfernt bin. Weil alles möglich scheint.  Immer noch kenne ich selbst keinen Menschen, der an Covid erkrankt ist oder war. Dadurch ist es immer nur ein wages Ahnen, ein Runden-Drehen um den heißen Brei. Was ist das denn nun? Wie fühlt es sich an? Wie gefährli

Vier Wände im Kopf

Ausgangsbeschränkungen. Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Schranke, die sich vergangenen Montag vor meiner Tür niedersenkte. Mich gewissermaßen abschnitt von meiner menschlichen Umwelt.  Wir sind zurückgeworfen auf uns selbst. Wachen nicht nur mit uns selbst auf und gehen mit uns ins Bett, sondern sind unsere ArbeitskollegInnen, FreundInnen, Busfahrenden, KellnerInnen im Café und Mithörenden einer Vorlesung. Was macht das mit uns?  Zum Einen sehe ich die Gefahr, durch das ununterbrochene Um sich selbst Kreisen den Bezug zur Außenwelt zu verlieren. Ich befürchte, dass die Wände meiner eigenen kleinen Blase undurchlässig werden und ich im Sumpf meiner eigenen Ansichten, Gedanken und meiner eigenen Realität versinke.  Zum Anderen bin ich und auch nur ich (theoretisch zumindest) die Referenz für mein Denken und Tun. Sozialer Vergleich beschränkt sich auf das, was ich sozialen Netzwerken entnehme (die, wie wir alle wissen und hoffentlich bei ihrer Nutzung auch immer im Hinterkopf behalt

Kleine Ansprüche

Anpassen, nicht anecken, gefallen. Niemanden vor den Kopf stoßen. Bloß nicht unbequem sein. So wäre ich gerne - und bin es nicht. Aber für welchen Preis? Nichts wagen - am Ende nichts gewinnen. Nichts Falsches machen- gar nichts machen und in Lethargie verharren? Nein, so will ich nicht leben. Was will ich sehen, wenn ich auf mein Leben zurückblicke? Fleißig abgesessene Acht-Stunden-Tage in einem stickigen Raum vor einem Computer, der 27 mal schlauer ist als ich? Oder, auch mal geschwänzt zu haben, um das zu machen, was an dem Tag eben wichtiger ist: Die Füße in einen kalten Bach zu hängen oder ein vierstündiges Gespräch auf einer schmutzigen Bordsteinkante zu führen. Weil es sich so. verdammt. gut anfühlt. Ich werde nichts Großes, Bedeutendes sein, kein Nietzsche, vielleicht nicht mal jemand, der stolz auf seine Leistungen sein kann. Aber ich hab die Chance - und die hat jeder von uns, immer - mich wohl zu fühlen. Jetzt gerade. In diesem Moment. Jemand zu sein, der ich g

Der Geist auf Exkursion

Heute habe ich eine Lektion gelernt. Oder vielleicht auch mehrere. (Warnung: Jetzt wirds persönlich. Für den ein oder anderen mag das etwas viel oder befremdlich sein.) 1. (Gefühlte) Abhängigkeit von der Anwesenheit Anderer kann aufgelöst werden. Sich dazu einfach mal eine Weile bewusst dem Alleinsein aussetzen und schauen, was passiert.  Was ich feststellte: Nichts. Oder eigentlich sehr viel. Von außen kann man eine Neukonfiguration der Synapsen vielleicht noch so gut sehen, aber von innen sieht es schon ganz schön anders aus, wenn die Tapete mal gewechselt wird.  Was ich nämlich erstaunt feststellte: Das Alleinsein lässt sich nicht nur ganz gut aushalten, sondern macht frei und eine Menge Spaß.  2. Fahrradfahren muss gar nicht furchtbar sein.  3. Starre Vorstellungen und scheinbare Wahrheiten werden manchmal automatisch gelockert, wenn kein anderer Weg mehr daran vorbei führt. Dann dafür recht effektiv. Wenn man die Zügel mal locker lässt und feststellt: Passiert ja ga

Besuch, der über Nacht bleibt

Etwas wissen und genau das Gegenteil tun. Etwas fühlen, was man nicht fühlen will, und es wegdrücken wie einen unliebsamen Anrufer. Handeln mit einem dumpfen unguten Kloß im Bauch. Igitt. Her mit dem Gefühl! Wo es sich jetzt so lange vor der Tür die Beine in den Bauch stehen musste, verdient es eine ordentliche Tasse Kaffee mit Schuss und ein heißes Bad (vorausgesetzt, es ist Winter. Ansonsten vielleicht eher ein kühles Pils.). Dann darf es losschießen, erzählen, was ihm so widerfahren ist auf seinem Weg her und was es so erlebt hat die letzten Jahre. Alt ist es geworden, aber es hat sich nicht verändert. Es kommt immer noch mit derselben selbstverständlichen Nonchalance daher. So, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte ich es nicht so etwa zwölf Jahre ausgesperrt. Es ist nicht böse oder nachtragend. Es ist einfach nur froh, da sein zu dürfen und endlich ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Beschimpfungen hat es vergessen. Zum Glück. So freunden wir uns irgendwie an. Das Gefühl

Das Kind

Wenn man mit jemandem sein ganzes Leben verbracht hat, würde man doch meinen, kenne ihn oder sie ganz gut. Oder? Pustekuchen. Ich scheine mich selbst ungefähr so gut zu kennen wie den Ortsvorsteher von Wolfsbüttel (zu dem ich weder familiäre noch freundschaftliche Kontakte pflege). Im Grunde genommen bin ich weiten Teilen von mir selbst fremd: Was unter der obersten Schicht liegt, ist unentdecktes Land. So tief stochert man für gewöhnlich nicht zwischen Abendessen und Zähneputzen. Muss ich Angst vor dem haben, was dort schlummert? Sind DAS diese "dunklen Abgründe", die in Geschichten über Axtmörder immer für die "grausame unmenschliche Tat" verantwortlich gemacht werden? Haben wir alle solche Leichen im Keller und sind nur einfach sehr geübt darin, das Modern zu ignorieren? So finster sehe ich das nicht. Letzte Woche machte ich Bekanntschaft mit so einem Untergrundwesen. Es tauchte einfach aus den Untiefen des Kellers bei mir auf. Ohne teuflische Fratze, sondern

Es blüht und zwitschert - Achtung Kitsch

Glaubt man Nachrichten und Internet, geht gerade die Welt unter. Oder zumindest die Menschheit. Draußen blüht zartlila der Flieder und schnuppert zauberhaft.  Auch ich bin verzaubert. Ist das etwa dieser Frühling?! Auf einem Glockenspiel tanzt etwas ChaChaCha, Kling-Klang. Oder ist das doch nur Spotify? Man weiß es nicht.  Ach, ist doch egal, man hört, was man hören will. Süßer die Glocken nie klingen. (Süßer als ernste Virologenstimmen allemal.) In der Luft liegt Sommer, Aufbruch, Schweiß und Abenteuer, und mir hat jemand Zucker in den Po und Watte (oder Federn?) in die Omme geblasen.  Wäre da nicht dieses, na, wie heißt es - Pflicht -, was da immer wieder fies lachend reinpfuscht und mit dickem schwarzem Edding Jux und Träumerei zensiert. Achso, ja, fast vergessen, das Leben ist ja kein Ponyhof und schließlich bin sind wir nun erwachsen. Dabei erwächst gerade doch so viel Wertvolleres....

Wonne

Manchmal kommt Freude subtil. Spielt nicht mit fulminantem Orchester auf, sondern zupft still und heimlich im Hintergrund die Saiten einer Harfe. Manchmal liegt sie in einer saftig grünen Wiese, einem Vogelzwitschern, einer Baumkrone im Schein des kupferfarbenen Abendlichts. In einem Gitarrenspieler im Park, der sich hingebungsvoll seinem Instrument widmet und damit nicht nur die Saiten, sondern auch etwas in uns, seinen Zuhörern, zum Schwingen bringt. Manchmal liegt Frieden auch in der Abwesenheit von etwas: Lärm, Druck, Vorgaben, Geschwindigkeit, Angst oder Sorgen. In manchen Momenten legt sich stille Dankbarkeit wie eine weiche Decke über mich. Dankbarkeit für das Leben und die Menschen darin, die ihm Farbe geben. Eine Wonne, so unerwartet und überraschend, die mit Gram versöhnt, keine Zeit und keinen Ort kennt.Für den, der derlei noch nie genoss, mag das esoterisch klingen. Wenn dich die stille Wonne ereilt, wirst du wissen, was ich meine. Verstecken kann sie sich überall: I

Ruhig Blut

Woran denkst Du, wenn du das Wort "Krise" hörst? Meine Assoziationen sind Not, soziale Spannungen und vor lauter Arbeit spärlich und grauhaarige oder kahle Männer in Anzügen, die sich ratlos im an Arbeit und Schlaflosigkeit verlorenen Haupthaar wühlen. Woran ich nicht denke: An Menschen, die friedlich zuhause sitzen und stricken. Die plötzlich entdecken, was das Leben zu bieten hat, wenn ihre gesamte Zeit und Kraft auf einmal nicht mehr von der Arbeit absorbiert werden. Die merken, dass Alleinsein gar nicht so beängstigend und Freiheit immer relativ ist. Sicher, nicht alle können sich diesen Luxus leisten, für Manche hängt gerade die Existenz an einem nicht sehr reißfesten Faden und wir sollten jenen dankbar sein, die das öffentliche Leben und unsere Versorgung am Laufen halten und uns die Weil im trauten Heim erst ermöglichen. Aber wie viel weniger Panik wäre wohl ausgebrochen, hätte man Du-weißt-schon-was "Coronaphase" oder "Coronaherausforderung" g

Woche zwei mit Frau C

Plötzlich konsumiert man wieder Nachrichten wie vorher Chips. Die sogenannte Lügenpresse wird verfolgt und auf das letzte bisschen Neuigkeit ausgequetscht: Wie viele Infizierte sind es nun? Wer hat die härtesten Ausgangsbeschränkungen? Wer hilft wem im internationalen Verbund? Gleichzeitig mit dem Frühling (hoffentlich!) scheint ein neuer Hunger auf Information erwacht zu sein. Dem Bangen und Fürchten wird versucht, durch möglichst aktuelle News-Happen beizukommen. Ist das der Beginn einer neuen Mündigkeit? Nichts fasziniert und erschreckt dieser Tage so sehr wie das C-Wort. Es hat unser aller Leben verändert - bei manchen mehr, bei manchen weniger. Worüber machten wir uns vorher Gedanken? Es scheint so fern, manchmal fast nichtig. Urlaube platzen, Existenzen gehen zugrunde. Gleichzeitig beobachte ich in meinem Umfeld eine Entwicklung hin zu mehr Ruhe, Leidenschaften wird endlich Zeit gewidmet und - in meinem Fall - das ungeliebte Telefonieren wieder aufgenommen, um aus der Isolati

Ausnahmezustand

Die Sonne lacht, ein Vöglein singt in der Luft liegt Frühling und noch viel mehr: ein Virus, vor dem sich jeder schützen muss. Die Welt mutiert zum Krisenherd und wir sind drinnen eingesperrt. Die Seuche tobt, ein Drama droht, darum nun das Ausgangsverbot. Man schimpft, man flucht, man resigniert, bevor man den Verstand verliert. Man spannt Textilien vor den Mund und grüßt nur noch mit "Bleib gesund!". Ich bin gesund, mir geht es gut, angezeigt ist Demut.

Die anderen und ich

"Alleinsein ist uncool." Diese Meinung erlege ich mir im ersten Semester auf und seitdem begleitet sie mich - mal offener, mal verdeckter - durchs Studium. Jeden Tag sind ein paar bis tausende Studierende um mich, ich sehe sie, höre sie, rieche sie auch manchmal. Wieso sollte man da allein sein?! Ja, wieso? Zuerst merke ich: Weil man sie nicht kennt. Man schleicht aneinander vorbei, als würden durchsichtige Tücher zwischen einem selbst und den anderen hängen. Man kann sie berühren, für einen Moment zur Seite schieben, bevor sie sich wieder schließen. Kontakt bekomme ich nur langsam, zu Einzelnen, über Hürden und um Ecken. Dann: Erste Enttäuschungen, verletzte Erwartungen und schmerzvolle Disharmonien. Nicht mit jedem lässt sich Tau knüpfen, manchmal bleibt es bei einem dünnen Band und manchmal reißt auch das. Erst brennt das ein bisschen, wie eine frische Wunde. Irgendwann vergisst man es. Zuletzt: Was sagt es aus, viele Freunde zu haben? Ist das nicht eine Fortsetzu