Direkt zum Hauptbereich

Was mir Angst macht (achso, und Freude)

 Dieser Tage habe ich viel Zeit, was eigentlich etwas Tolles ist, schließlich ist sie fast das Einzige, was in unserer privilegierten westlichen Welt noch endlich ist. Man muss sie aber gut zu füllen wissen. Wissen tue ich das auch, nur mit dem Tun sieht es wie so oft meistens anders aus. Freie Zeit lässt sich auch ganz wunderbar vergrübeln. Sie schmilzt in Gedankenkreisen wie ein Eis im Backofen. Ich nähre und züchte mit viel Zeit und Zuwendung meine Ängste. Damit die mal irgendwo anders rumtollen außer in meinem Kopf, lege ich sie hier dar. Vielleicht geht es einem/einer von euch ähnlich. 

- Dass die Welt - oder zumindest meine - nie wieder wird wie vorher. Die Pandemie wird Einiges verändern, ja. Aber ich meine die grundsätzlichen Dinge. Prinzipien und für mich feststehende Maximen: Soziale Kontakte treffen können. Dass jeden Tag auch viele gute Dinge passieren und uns persönlich oder in den Nachrichten überraschen. Dass Hobbies und Freizeitaktivitäten uneingeschränkt möglich sind. Was ist zum Beispiel mit Tanzstunden? Wird es das noch geben in einer Zeit nach Corona? 

- Dass wir als Individuen einer Gesellschaft dabei sind, uns voneinander zu entfernen. Unwiederbringlich. Dass wir uns so an die Isolation und Beschäftigung mit uns selbst gewöhnen, dass wir gar nichts anderes mehr wollen. Ja, das fürchte ich wirklich. Ich weiß, dass Menschen soziale Wesen sind, aber das dachte man vor 10 Jahren auch und belächelte "soziale" Plattformen wie Facebook. Nicht nur ich habe seitdem deutlich weniger Menschen persönlich oder telefonisch gesprochen. Es kommt schleichend und ist ja auch ganz bequem. Manchmal. Mir reicht es aber nicht. Ich habe ein Bedürfnis nach der Verbindung zu anderen Menschen, und das ist momentan depriviert. Das merke ich manchmal sogar körperlich: Einsamkeit. 

- Dass wir als Gesellschaft auseinanderdriften und uns in Gruppen vereinzeln, die wahlweise "Risikogruppen", "Verursacher*innen", "Systemrelevante", "nicht so Systemrelevante", "Andersdenker", usw. sind. Ich fand es noch schöner, als meine Oma einfach meine Oma war und nicht eine Risikoperson. 

- Nennt mich konservativ, aber: Dass das Leben sich aus den Städten zurückzieht und (nur noch) online stattfindet. Auch ich als fauler Introvertierter profitiere vom Internet, ja, und es ist schon gemütlicher in meinem Zimmer als in einem kalten zweckmäßigen Arbeits-/Seminarraum. Aber auch eine belebte Stadt, ein Flussufer mit Menschen und ein Kino mit tuschelnden Besucher*innen und Popcorngeraschel sind auf eine Art gemütlich. Wie findet ihr es eigentlich, nur noch in eurem "Home Sweet Home" zu sein, ihr kuscheligen #Hygge-Menschen? (Das ist  kein Angriff, und wenn, dann auch auf mich, die sich erst letzte Woche Fleecedecke Nr. 3 zugelegt und sich schon aufs Ankuscheln dieser gefreut hat.) All die süßen Läden und einzigartigen Cafés gehören jemandem und der hat sich was aufgebaut, was ihm gerade einfach unter den Füßen weggezogen wird. Bitte, bitte, verschwindet nicht, nur weil es Amazon etc gibt! 

- Dass wir uns in unseren Entscheidungen nach jeweils geltenden Verordnungen und Politikerstatements richten (müssen). 

- Menschen nur noch als Gefahrenfaktoren zu sehen. 

- Dass das Vakuum, als das ich manchmal mein Zimmer empfinde, wenn ich viele Stunden darin an derselben Stelle verbracht habe, sich in meinem Kopf auch ausbreitet. Vielleicht wisst ihr, was ich meine. Dieses dumpfe Gefühl, dass die eigene Birne hallt, weil sie so hohl ist. 

------

Uff. Viel Schlechtes, viele Sorgen. 

Darum noch die andere Seite der Medaille, wo es ein bisschen heller ist. Was mir doch ganz gut behagt zur Zeit: 

- den ganzen Tag in Leggings verbringen

- Kaffee trinken können ohne Ende

- nicht raus aka nicht frieren müssen

- feines Futter, immer in Reichweite

- lange Telefonate mit Menschen, die ich sonst nie angerufen hätte (vor dieser Pandemie habe ich ungefähr so gern telefoniert wie geduscht. Ich hass(t)e beides.)

- Dozent*innen nie sehen und damit der Scham entgehen, vor ihnen einen Vortrag halten zu müssen über ein Thema, von dem sie selbst viel mehr Ahnung haben (was nicht schwer ist, ich hab nämlich meist gar keine)

- Körpergeräuschen freien Lauf lassen

- zu jeder Tages- und Nachtzeit Knoblauch essen können ohne Angst vor sozialer Sanktionierung

- weniger Lärm durch Vermeidung stark bevölkerter, verkehrsmäßig frequentierter Orte (okay, ich wohne in einer 20 Meter langen Straße, hier passieren drei Eichhörnchen am Tag und sonst nix. Dieses Privileg genießt nicht jeder.)

- an der Heizung sitzen können den lieben langen Tag

- neben Vorlesungen häkeln können. Hach.... :))

Was sind eure Freudenfaktoren? Ich bin gespannt! (Wirklich.)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Einsamkeit

Einsamkeit bricht nicht plötzlich über einen herein wie ein Gewitter. Vielmehr schleicht sie sich leise, zunächst unbemerkt an. Schwelt wochen- oder monatelang vor sich hin wie Schimmel, bis zu dem Tag, an dem man beim Staubsaugen die Zimmerecke mal etwas genauer inspiziert. Ab diesem Moment, der durch einen leichten Schreck gekennzeichnet ist, fragt man sich: Wie konnte ich das so lange nicht sehen?  Das Problem ist: Genau wie gegen Schimmel gibt es gegen Einsamkeit kein akut und sofort wirksames Heilmittel. Das ist das Blöde an Erwachsenenproblemen, dass man sie nicht einfach wegheulen oder -trösten kann. Eine Internetrecherche fördert auch keine neuen Weisheiten: Einfach raus gehen, Vereinen beitreten, Leute ansprechen. Introvertierten Menschen läuft es kalt den Rücken hinunter.  Vor allem hat die Einsamkeit bei mir nicht unbedingt etwas mit einem Mangel an Kontakt zu tun. Vielmehr ist der die Folge, und die eigentliche eitrige Wurzel liegt in einem Gefühl der Leere. An Si...

Freitagskram

Hier mal wieder eine kreuz und quere Ausschüttung meiner Gedanken der letzten Stunden:  - Lasst uns einen Moment innehalten und dankbar sein, was Medizin heute alles bewirken kann. Welch eine Macht! Immer, wenn sich mein Körper auf unerwünschte Weise meldet, wird mir bewusst, wie großartig Medikamente und ihre Entdeckung sind: Wie toll ist es, keine Schmerzen mehr zu haben, den Antrieb zu steigern und die grauen Schleifen, die unsere Hirne manchmal unnötigerweise ziehen, umzulenken? Danke an all die Menschen, die sich unermüdlich dem Ergründen von Regelkreisen, Enzymen und Wirkstoffen gewidmet haben. - Manchmal bereitet es mir eine diebische Freude, mittelalte, manchmal - aber nicht immer - grantige deutschen Mittelstandsbürger:innen irgendwie zu provozieren oder zumindest zu entrüsten. Das tue ich, indem ich zum Beispiel meine Strumpfhose in der Öffentlichkeit aus- oder anziehe (schließlich verschätzt man sich im deutschen Frühjahr und Herbst gerne mal um 5-10 Grad in der Temperat...

Völlig losgelöst

Ich habe kein Wlan zuhause. In meinen Ohren klingt das wie ein Steinschlag, schwer und vernichtend. Soziale Zusammenkünfte bei mir: nicht möglich. Mit einem gewissen Unbehagen lasse ich diese Hiobsbotschaft beim täglichen Plausch mit Freunden fallen. Ich manövriere mich ins soziale Abseits, weil ich Fragen nach einem Besuch bei mir immer wieder ausschlagen muss und keiner mir mittlerweile die Nummer mit dem Internet abkauft. Come on, seriously? Wir leben in 2018, das Einzige, was man ohne Internet kann, ist Hackfleisch braten, Schätzchen. Digital Detox okay, aber gezwungenermaßen ohne Internet, das kannst du deiner Oma erzählen. Ich muss mir immer wieder selbst versichern, dass ich nicht lüge, weil ich ein Misanthrop bin und niemanden zu mir einladen möchte. Aber es ist die Wahrheit, so glaubt mir doch! Ich komme mir vor, als lebte ich in der russischen Tundra anstatt in einer (ost-)deutschen Großstadt. Abgeschnitten, abgehängt, zurück in den 80ern. Ich decke mich mit Büchern ein...