Direkt zum Hauptbereich

Ruhig Blut

Woran denkst Du, wenn du das Wort "Krise" hörst?
Meine Assoziationen sind Not, soziale Spannungen und vor lauter Arbeit spärlich und grauhaarige oder kahle Männer in Anzügen, die sich ratlos im an Arbeit und Schlaflosigkeit verlorenen Haupthaar wühlen.
Woran ich nicht denke: An Menschen, die friedlich zuhause sitzen und stricken. Die plötzlich entdecken, was das Leben zu bieten hat, wenn ihre gesamte Zeit und Kraft auf einmal nicht mehr von der Arbeit absorbiert werden. Die merken, dass Alleinsein gar nicht so beängstigend und Freiheit immer relativ ist.
Sicher, nicht alle können sich diesen Luxus leisten, für Manche hängt gerade die Existenz an einem nicht sehr reißfesten Faden und wir sollten jenen dankbar sein, die das öffentliche Leben und unsere Versorgung am Laufen halten und uns die Weil im trauten Heim erst ermöglichen.

Aber wie viel weniger Panik wäre wohl ausgebrochen, hätte man Du-weißt-schon-was "Coronaphase" oder "Coronaherausforderung" genannt. Das klingt nicht nur weniger bedrohlich. Sondern nach etwas, das mit Durchhalten, Geduld und Zusammenhalt gemeistert werden kann. Etwas, an dem wir als Individuen und als Gesellschaft wachsen können. An das man zurückdenkt mit Erstaunen und einem gewissen Stolz, es durchstanden zu haben, sich aber auch an die heiteren Momente erinnert.
So viel Tolles entsteht dieser Tage, das es ohne Die-deren-Name-nicht-genannt-werden-darf gar nicht gegeben hätte: Podcasts, Nachbarschaftshilfen, Balkone voll singender Menschen, kostenlose Bildung, Unterhaltung und Kunst, die für jeden zugänglich ist. So viele Menschen sind auf so unterschiedliche Art und Weise kreativ geworden. Manche mussten es, wie das Fitnessstudio, das nun Onlinekurse anbietet. Manche wollten eine Verbindung schaffen für die Welt, die nun wie kleine Eremiten in ihren Höhlchen vor ihren Datenfunzeln hockt.

Wir wissen nicht, wie und wann dieser Zustand endet. Natürlich hoffen wir, glimpflich davon zu kommen und nicht einen Teil der Bevölkerung an etwas zu verlieren, das winziger ist und doch plötzlicher und unkontrollierbarer über uns brach als Atomkatastrophen, Klimawandel und Rechtsradikalismus zusammen. Die meisten von uns - und dazu gehöre ich, die hier ziemlich untätig ihre vier Buchstaben in Form eines schönen, kreisrunden Pfannkuchens plattsitzt vor lauter Untätigkeit - können gerade nicht allzu viel dazu beitragen.

Was wir tun können: Uns nicht verrückt machen. Uns vor Augen führen, wie wenig es braucht, um ruhig schlafen zu können: Die Gewissheit, dass Familie und Freunde gesund sind und ja, abgedroschen, weil wahr: Es gibt immer ein Morgen.

Also, trinken wir virtuell nen Schnäppes zusammen und lassen die Welt einfach das tun, was sie schon immer macht: Sich weiterdrehen.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Freitagskram

Hier mal wieder eine kreuz und quere Ausschüttung meiner Gedanken der letzten Stunden:  - Lasst uns einen Moment innehalten und dankbar sein, was Medizin heute alles bewirken kann. Welch eine Macht! Immer, wenn sich mein Körper auf unerwünschte Weise meldet, wird mir bewusst, wie großartig Medikamente und ihre Entdeckung sind: Wie toll ist es, keine Schmerzen mehr zu haben, den Antrieb zu steigern und die grauen Schleifen, die unsere Hirne manchmal unnötigerweise ziehen, umzulenken? Danke an all die Menschen, die sich unermüdlich dem Ergründen von Regelkreisen, Enzymen und Wirkstoffen gewidmet haben. - Manchmal bereitet es mir eine diebische Freude, mittelalte, manchmal - aber nicht immer - grantige deutschen Mittelstandsbürger:innen irgendwie zu provozieren oder zumindest zu entrüsten. Das tue ich, indem ich zum Beispiel meine Strumpfhose in der Öffentlichkeit aus- oder anziehe (schließlich verschätzt man sich im deutschen Frühjahr und Herbst gerne mal um 5-10 Grad in der Temperat...

Einsamkeit

Einsamkeit bricht nicht plötzlich über einen herein wie ein Gewitter. Vielmehr schleicht sie sich leise, zunächst unbemerkt an. Schwelt wochen- oder monatelang vor sich hin wie Schimmel, bis zu dem Tag, an dem man beim Staubsaugen die Zimmerecke mal etwas genauer inspiziert. Ab diesem Moment, der durch einen leichten Schreck gekennzeichnet ist, fragt man sich: Wie konnte ich das so lange nicht sehen?  Das Problem ist: Genau wie gegen Schimmel gibt es gegen Einsamkeit kein akut und sofort wirksames Heilmittel. Das ist das Blöde an Erwachsenenproblemen, dass man sie nicht einfach wegheulen oder -trösten kann. Eine Internetrecherche fördert auch keine neuen Weisheiten: Einfach raus gehen, Vereinen beitreten, Leute ansprechen. Introvertierten Menschen läuft es kalt den Rücken hinunter.  Vor allem hat die Einsamkeit bei mir nicht unbedingt etwas mit einem Mangel an Kontakt zu tun. Vielmehr ist der die Folge, und die eigentliche eitrige Wurzel liegt in einem Gefühl der Leere. An Si...

Völlig losgelöst

Ich habe kein Wlan zuhause. In meinen Ohren klingt das wie ein Steinschlag, schwer und vernichtend. Soziale Zusammenkünfte bei mir: nicht möglich. Mit einem gewissen Unbehagen lasse ich diese Hiobsbotschaft beim täglichen Plausch mit Freunden fallen. Ich manövriere mich ins soziale Abseits, weil ich Fragen nach einem Besuch bei mir immer wieder ausschlagen muss und keiner mir mittlerweile die Nummer mit dem Internet abkauft. Come on, seriously? Wir leben in 2018, das Einzige, was man ohne Internet kann, ist Hackfleisch braten, Schätzchen. Digital Detox okay, aber gezwungenermaßen ohne Internet, das kannst du deiner Oma erzählen. Ich muss mir immer wieder selbst versichern, dass ich nicht lüge, weil ich ein Misanthrop bin und niemanden zu mir einladen möchte. Aber es ist die Wahrheit, so glaubt mir doch! Ich komme mir vor, als lebte ich in der russischen Tundra anstatt in einer (ost-)deutschen Großstadt. Abgeschnitten, abgehängt, zurück in den 80ern. Ich decke mich mit Büchern ein...