In meiner Idealvorstellung bin ich ein unabhängiger, freier Mensch, der nichts und niemanden zu seinem Glück braucht. In der Realität scheitere ich nicht nur daran, mein Fahrrad selbst zu reparieren, sondern bin auch fundamental auf die Zuneigung und Aufmerksamkeit Anderer angewiesen. Machen wir uns nichts vor: Das sind wir alle (wenn auch zu variierendem Ausmaß). Eine Menge Kummer würde ich mir ersparen, wenn ich so unabhängig wäre, meinen Weg allein bestreiten würde und damit im Reinen wäre. Aber das bin ich nicht. An Tagen, an denen ich bis zum Abend mit keinem geredet habe (das kommt durchaus vor) fühle ich mich irgendwie schief, im Ungleichgewicht, und befürchte, meine sozialen Fertigkeiten zu verlieren. Ein Computer eröffnet zwar einen Zugang zur Welt, aber er lächelt nicht. Verhalten Menschen sich dann unvorhersehbar oder reagieren nicht so, wie ich es gerne hätte, bin ich schnell frustriert und wünsche mir, nicht auf ihre Verlässlichkeit und ihr Wohlwollen angewiesen...
"Möchtest du einen Kaffee?" - "Ja, sehr gerne, danke. Woher wusstest du das?" So hätte ich es gerne. Jemand anders liest mir meine Wünsche von den Augen ab. Danach fragen oder gar bitten muss ich nicht. Das wäre zwar bequem, aber auch feige. Wieso frage ich nicht einfach selbst nach dem, was ich will? Weil ich nicht gierig scheinen will. Das geht zum Teil so weit, dass ich mir nicht mal selbst eingestehen möchte, dass ich einen Wunsch oder ein Verlangen nach etwas habe. Denn der Wunsch kann mir ja abgeschlagen werden. Sehr her, ich bin Mutter Teresa, ich brauche nichts als ein bisschen Luft zum Atmen. Ich aber möchte sehr gerne und sehr viel und die Wahrscheinlichkeit, es zu bekommen, ist deutlich höher, wenn ich danach frage. Oder es einfordere, wenn es mir zusteht, aber nicht gegeben wird. Wir alle brauchen oder wollen etwas: Kaffee, Schlaf (eher in umgekehrter Reihenfolge), Platz im Bus, eine Tüte Äpfel, Hilfe bei der Fahrradreparatur und eine Rente. Kommen di...