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Temporärer Sinnverlust

Früh (also halb neun) aufstehen, in die Kälte gehen, die Rübe anstrengen oder der verspätete Bus - viel Unbill ist zu ertragen, solange ich weiß, wofür ich das alles mache. Wenn es zu einem höheren Ziel führt oder in Kauf genommen werden muss, um etwas Wichtiges oder Gutes zu erreichen. Wie ausschlaggebend dieser Sinn ist, merke ich erst, wenn er fehlt. Oder ich ihn einfach nicht mehr sehe. In den Zeiten im Leben, in denen ich einfach umherirre und alles im Nebel verschwimmt. "Wofür soll das alles gut sein?", frage ich mich dann, und die kleinste Bewegung, ja, schon das Zähneputzen scheint unheimlich aufwendig. Was Freude macht, wird blass und grau. Von Motivation, etwas Neues zu wagen, keine Spur.

Warum kommt er mir hin und wieder abhanden, der Sinn? 

Manchmal sind so viele Minischritte nötig auf dem Weg zu einem Ziel, das man vor lauter Entfernung nicht mehr sehen kann. So bei meiner letzten Studienarbeit: Ich konnte nicht mal erkennen, was der nächste Schritt war, geschweige denn, was danach kommt; ein massiver Brocken lag vor mir, dessen Ausmaße ich nicht fassen konnte. Es mag Menschen geben, die dann erst recht in Aktionismus verfallen und den Stein systematisch, Stück für Stück, abtragen. Ich dagegen verfiel in eine schwere Lethargie und schaffte täglich nur noch Mäuseportionen Arbeit. 

Oder das Ziel verliert auf dem Weg an Attraktivität. Die Hausparty war in der Vorstellung so viel glamouröser als das Böden-Wischen, Getränkekisten-Schleppen und Girlanden-mit-Kurzschluss- Reparieren der Realität.

Ooooder: Die Prioritäten ändern sich. Was, ich soll für die drei Sex-and-the-City-DVDs nach Chemnitz fahren?! Danke, aber SO wichtig ist mir Carries sexistisches Gequatsche nu auch nicht.  

Umso erleichternder, wenn er dann auf einmal doch wieder da ist, der Sinn. Nachdem ich als ausgemachte Morgenmuffeline meinen faulen Hintern heute morgen doch irgendwann (also wie immer fünf Minuten vor Treffzeit) aus dem Haus geschoben und unter viel Selbstbeherrschung mein freundlichstes Gesicht aufgesetzt habe, stand er da, ganz unverhofft. Da hab ich ihn einfach eingepackt, mitgenommen und mich gefreut. Ach ja, und mich bedankt. Beim Schicksal. Weil Leben mit Sinn doch irgendwie kuschliger ist. 



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