Direkt zum Hauptbereich

Mein Zufluchtsort


 Ich möchte bei dm einziehen. Sagt mir jetzt nicht, dass das nicht geht. Wenn es einen Ort gibt, an dem die Welt noch in Ordnung ist, dann dort. Die Filiale leuchtet in sanftem warmem Licht, blumig-weicher Duft weht mir beim Eintreten entgegen und umfängt mich. Ich bin angekommen: in einer Wohlfühlwelt, in der Stärke, Härte, Krieg, Finanzen, Leistung und eigentlich alles Unangenehme nicht existieren. 

Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein. Ich will dieses kurze Gefühl von Alles-ist-noch-irgendwie-in-Ordnung aber nicht nur kurz während eines Einkaufs haben, sondern für immer. Will aufwachen in Pastelltönen, ein Amaranth-Knuspermüsli frühstücken und in den breiten Gängen mit den abgerundeten Kanten meinen Tag zubringen. Bei dm ist alles möglich: Ich kann quietschig-bunt und girly sein, sportlich-frisch, verwunschen-geheimnisvoll oder kräuterig-natürlich. Alles ist okay. Alles ist bezahlbar, auch mit schmalem Geldbeutel. Die Mitarbeiter:innen sind fast nie schlecht gelaunt. Es gibt Wasser und Lektüre (die alverde und allerlei Produktbeschreibungen), Platz zum Toben, immer ein paar nette Geschenkchen, Sonderangebote und vor allem: alles, was man nicht unbedingt braucht, was aber saugut tut. Badekugeln. Handcreme. Feuchtigkeitsspray für das spröde Haupthaar. Fußcreme. Lippenpflege. Zusammenklappbare Bürsten. 

Als ich elf war, waren die wöchentlichen Streifzüge zu dm das größte Vergnügen für meine beste Freundin und mich. Stundenlang schlichen wir durch die Gänge, sprühten uns mit Deos voll und probierten die Schminkutensilien aus, die für unser Alter eigentlich noch seeehr unangemessen waren. Das wussten wir auch, und das machte es umso verruchter. Meist kehrten wir mit einem Tütchen voller Gesichtsmasken (von Pickeln war in dem Alter eigentlich noch keine Spur), Haarkur-Pröbchen und Lidschatten in möglichst unauffälligen Farben, damit er ja keinem auffiel, nach Hause zurück. Diese Phase scheint irgendwie nie so ganz aufgehört zu haben. Noch immer suche ich dm auf, weil ich etwas brauche, und komme dann zwar ohne den gewünschten Artikel, aber mit 17 anderen nach anderthalb Stunden grunderholt und tiefengereinigt wieder heraus. 

Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man nicht zu dm geht, weil man etwas braucht. Sondern, um zu merken, was man eigentlich dringend braucht. Das meine ich ganz wörtlich. Wie ausgehungert ich nach Sanftheit, Ruhe, herrlichen Düften und dem pastellfarbenen Leben war, nehme ich erst wahr, als ich dm wieder verlasse bzw. er mich in die harte, kalte und unerbittliche Welt spuckt. Kann ich nicht ein bisschen davon mitnehmen in mein Zuhause? Leider habe ich weder genug Geduld noch Genuss daran, mich einzucremen, mir die Nägel zu lackieren oder die Beine zu rasieren. Sonst wäre ich vom lieblichen Duft von Rosen, Sheaöl oder Zitronenmelisse wohl öfter umgeben. Also doch Duftkerzen? Aber wer macht sich immer die Mühe, die anzuzünden? Ist das nicht beißende Ironie, sich neben einer Vanille-Duftkerze sitzend die Schlagzeilen von Energiekrise und Klimawandel einzuverleiben oder sich durch die Masterarbeit zu quälen? 

Das Gefühl ist es, das ich mitnehmen und - am besten in mir selbst- behalten will: Dass ich und die Welt schon irgendwie in Ordnung sind. Oder es zumindest werden können. Bis das soweit ist, kann es trotzdem gut riechen und ich lächeln. Vielleicht nicht immer freudig, aber frisch. Oder herb. Das ist das einzige Minus von dm: Bier gibt's hier nicht. Schade eigentlich. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Mal wieder was Rührseliges, jetzt, wo die Tage wieder grauer werden, nach einem bombastischen Sommer. Wofür bist Du dankbar? Das ist bei den meisten von uns nicht das, worauf unser Fokus liegt (ein paar Sonnenscheinchen und Frohnaturen ausgenommen, die wahrscheinlich eine sehr gesunde Psyche und Gedankenwelt haben). Umso mehr möchte ich es mir aktiv ins Denken holen. Es gibt immer irgendetwas, das nicht klappt, das unzufrieden macht. Jede:r von uns hat Defizite. Aber die sollten nicht unsere volle Aufmerksamkeit bekommen.  Wofür ich selbst dankbar bin: - ein langer, heißer Sommer voller Sonne - süß-saure, gelb-rote Falläpfel - tiefstehendes Licht am Spätnachmittag - die Ruhe nach einem wuseligen Tag - meine Großeltern noch zu haben - weite Sweatshirts aus dicker Baumwolle - Kontakt zu Freund:innen - wo auch immer sie sind - Kissen - Zimmerpflanzen - Kohlrabi  - Funk & Fernsehen - Abendstunden in meinem Sessel - mein Handy Ich könnte die Liste noch eine Klopapierrolle lang weiterfüh
Wohin sind die Tage, an denen es scheinbar unendliche Mengen an Mate und Zeit gab?  Wohin die Abende, an denen es egal war, wann oder ob wir ins Bett gehen?  Wo sind die spontanen Bäder im Fluss am späten Nachmittag und das Versumpfen in einem packenden Gespräch?  Unbemerkt sind sie gegangen. Ihr Fehlen fällt erst jetzt auf.  Here we go, Erwachsensein.
Wann hat das eigentlich angefangen, dass sich keine:r mehr festlegen will? Alle Optionen, Menschen und Beziehungen ganz offen ? Reicht eine Person nicht oder wollen sie alles haben oder die Möglichkeit (und das damit einhergehende Gefühl), alles haben zu können?  In mein Herz und meinen Kopf passt für eine tiefe Beziehung zueinander (und wieso sollte ich etwas darunter wollen?) maximal eine Person.  Wieso sollte ich eine beliebige Aktivität mit jemand anderem teilen wollen, wenn ich sicher weiß, dass ich sie ganz wunderbar mit dieser einen bestimmten Person teilen kann? Dass wir gut beim Reden, Wandern, Rumalbern oder im Dunklen, Kalten grummelig zusammen nach Hause Stapfen harmonieren?  Ich habe ja, außer wenn ich muss, auch nicht freiwillig mehr als eine Arbeitsstelle, Handynummer, mehr als ein Bett,  oder feiere meinen Geburtstag mehr als einmal. Weil die schönsten Dinge (okay, diese Argumentation greift bei der Arbeitsstelle nicht so ganz) eben nur im Original schön sind. Weswegen