Direkt zum Hauptbereich

Die Gespräche, die wir (nie) führen werden

 Ich stehe an der Supermarktkasse und führe ein Gespräch mit einer Freundin. 
Sie: "... aber er hat einfach nicht zurückgeschrieben, der Arsch." Es wäre jetzt an mir, in die Hasstirade über den Arsch mit einzustimmen Stattdessen entgegne ich: "Was hast du denn erwartet?" Sie glotzt mich an. Baff. "Seit Wochen spielen wir das immer gleiche Theaterstück: Er baut Scheiße, du regst dich auf. Wie oft willst du das denn noch machen? Oder eigentlich: Wie oft soll ich mir das noch anhören und brav mit dir auf ihn schimpfen?" Hier endet das Gespräch. Nicht, weil ich bezahlen muss. Sondern weil es nur in meinem Kopf stattfindet und der das Skript nicht weitergeschrieben hat. Aber bis dahin ist es schon fix. Nach 43 Überarbeitungen sollte ja auch langsam mal die finale Version stehen. 

Warum machen wir das? Gedanklich Gespräche inszenieren mit Freund:innen, Mitarbeiter:innen oder Verkäufer:innen? Tagtäglich und ununterbrochen? Um die sorgfältig zurecht gelegten Worte im entscheidenden Moment dann doch wieder nicht auszusprechen? Wieso bereiten wir fein säuberlich Dialoge vor, die wir nie führen werden?

An Leerstand im Oberstübchen kann es nicht liegen. Schließlich prasseln andauernd Reize auf uns ein, die eigentlich sortiert und verarbeitet werden sollten. 
Nehmen wir also an, es handelt sich um wichtige Gespräche, um endlich etwas zu klären, sich zu entschuldigen oder jemandem mitzuteilen, wie viel er/sie einem bedeutet. Warum tun wir genau das dann im fraglichen Moment nicht? Zu große Angst? Oder meinen wir es eigentlich gar nicht ernst mit unseren großen Reden und Vorhaben? 

Manchmal tut es schließlich einfach gut, die Gedanken etwas aufzuräumen und sie demjenigen zurückzugeben, der sie einem eingepflanzt oder zumindest den Samen gesät hat. Wenn auch in rein symbolischer Form: Gedanken gedanklich wegschicken. Da, liebster Mitbewohner, hier ist meine Sorge, dass du mich insgeheim richtig seltsam findest. Hier, Freundin X, eigentlich vermisse ich dich saumäßig. 

So mancher kesse Spruch, der mich vielleicht total bestärken und endlich meine Meinung zu einer Thematik klarstellen würde, führte möglicherweise zu unangenehmen Konsequenzen bis zu mittelschweren Unglücken, wenn er denn tatsächlich ausgesprochen würde. Das ist uns im Moment des Dialoge-Spinnens (in diesem Fall wahrscheinlich eher ein Monolog, denn die Reaktion auf eine Schimpfkanonade stellen wir uns ja meist gar nicht erst vor) vermutlich auch klar. Gerade deshalb ist es so befreiend und befriedigend, das Drama zumindest mental einmal durchzuspielen. Die Beziehung zu Freundin Y wird dadurch natürlich nicht besser, aber geht eben auch nicht kaputt. Was mir ja meist auf lange Sicht auch wichtiger ist. 

Ach, und so ein bisschen Drama gibt dem Ein und Aus des Alltags doch auch Würze. Bei mir läuft heute Abend übrigens: "Das erste Treffen mit meinem zukünftigen Beziehungspartner". Die Protagonistin glänzt darin durch ihre erfrischende Art und ihren umwerfenden Witz. Vorhang auf!



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Mal wieder was Rührseliges, jetzt, wo die Tage wieder grauer werden, nach einem bombastischen Sommer. Wofür bist Du dankbar? Das ist bei den meisten von uns nicht das, worauf unser Fokus liegt (ein paar Sonnenscheinchen und Frohnaturen ausgenommen, die wahrscheinlich eine sehr gesunde Psyche und Gedankenwelt haben). Umso mehr möchte ich es mir aktiv ins Denken holen. Es gibt immer irgendetwas, das nicht klappt, das unzufrieden macht. Jede:r von uns hat Defizite. Aber die sollten nicht unsere volle Aufmerksamkeit bekommen.  Wofür ich selbst dankbar bin: - ein langer, heißer Sommer voller Sonne - süß-saure, gelb-rote Falläpfel - tiefstehendes Licht am Spätnachmittag - die Ruhe nach einem wuseligen Tag - meine Großeltern noch zu haben - weite Sweatshirts aus dicker Baumwolle - Kontakt zu Freund:innen - wo auch immer sie sind - Kissen - Zimmerpflanzen - Kohlrabi  - Funk & Fernsehen - Abendstunden in meinem Sessel - mein Handy Ich könnte die Liste noch eine Klopapierrolle lang weiterfüh
Wohin sind die Tage, an denen es scheinbar unendliche Mengen an Mate und Zeit gab?  Wohin die Abende, an denen es egal war, wann oder ob wir ins Bett gehen?  Wo sind die spontanen Bäder im Fluss am späten Nachmittag und das Versumpfen in einem packenden Gespräch?  Unbemerkt sind sie gegangen. Ihr Fehlen fällt erst jetzt auf.  Here we go, Erwachsensein.
Wann hat das eigentlich angefangen, dass sich keine:r mehr festlegen will? Alle Optionen, Menschen und Beziehungen ganz offen ? Reicht eine Person nicht oder wollen sie alles haben oder die Möglichkeit (und das damit einhergehende Gefühl), alles haben zu können?  In mein Herz und meinen Kopf passt für eine tiefe Beziehung zueinander (und wieso sollte ich etwas darunter wollen?) maximal eine Person.  Wieso sollte ich eine beliebige Aktivität mit jemand anderem teilen wollen, wenn ich sicher weiß, dass ich sie ganz wunderbar mit dieser einen bestimmten Person teilen kann? Dass wir gut beim Reden, Wandern, Rumalbern oder im Dunklen, Kalten grummelig zusammen nach Hause Stapfen harmonieren?  Ich habe ja, außer wenn ich muss, auch nicht freiwillig mehr als eine Arbeitsstelle, Handynummer, mehr als ein Bett,  oder feiere meinen Geburtstag mehr als einmal. Weil die schönsten Dinge (okay, diese Argumentation greift bei der Arbeitsstelle nicht so ganz) eben nur im Original schön sind. Weswegen