Direkt zum Hauptbereich

Wie reden wir eigentlich miteinander?

Es sind Ferien. Höchste Zeit, sich nach all dem für den Status eines ernsthaften deutschen Bürgers notwendigen Kleinkram wie Prüfungen und Arbeit mal wieder Gedanken über das Essentielle im Leben zu machen. Das schreibt sich ja schlecht auf Vorlesungsfolien nieder. Wäre ja auch langweilig. Leben lernt sich wohl besser in der Praxis.

Jedenfalls betrachtete ich in den letzten Wochen so das menschliche Miteinander, vor allem das auf der kleinsten Ebene: Familien, Freunde und solche, bei denen sich eine der beiden Beziehunsgformen anbahnt.  Dabei fiel mir auf, wie viel Platz für Miss- und Unverständnisse Kommunikation bietet.
Bedeutungen mag die menschliche Sprache nicht eineindeutig zu vermitteln. Eine weit größere Rolle spielen jedoch die Erwartungen und impliziten Vorstellungen, die sowohl beim Sender als auch beim Empfänger einer Nachricht vorliegen.
Über den Inhalt, die eigene sowie die Rolle des anderen in der Beziehung, darüber, was dieser - vermeintlich - erwartet. So kann die Sprache zum Minenfeld voller potentieller Sprengkörper werden: "Wieso fährst du schon wieder? Glaubst du, ich setze das Auto gegen die nächste Garage?" - "Ich dachte, du wolltest nicht fahren...".

Im Optimalfall sollte ein Gespräch wie ein Tischtennisspiel sein: Die Teilnehmer spielen sich die Bälle zu. Vielleicht muss einer mal zur Tischkante hechten, aber das Spiel lebt vom Ballwechsel, vom  fairen "Mal-Du-mal-Ich". In manchen Runden bekommt der Eine mehr Bälle, in manchen der Andere.
In manchen Gesprächen scheint das Netz aber eine hohe, durchsichtige Glaswand zu sein, an der die Bälle abprallen und wieder zum jeweiligen Spieler zurückrollen. Woran liegt das? Haben beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen der Spielregeln? Will der eine den sportlichen Wettkampf, während der andere den Ball gemächlich hinüberrollt, um die Zeit totzuschlagen? Beide gehen frustriert aus der Partie, denn beide sind zu kurz gekommen.
Vielleicht kennt Ihr das auch, dass Ihr aus einem Gespräch geht und euch fragt: Worüber haben wir eigentlich die letzten Stunden geredet?
Wenn statt bereicherndem Austausch eher ein Spießrutenlauf ("Wieso hast du XY getan? Erklär mir das!") oder ermüdendes Dampfwalzendrehen ("Damals, im Elbaurlaub 2001...") stattfindet - erfüllt das dann noch das menschliche Bedürfnis nach Teilnahme?

Sich mitteilen, etwas mit anderen teilen, ja, das braucht der Mensch fast so sehr wie Nahrung und die Luft zum Atmen. Toll ist es, wenn diese Mitteilung auf aufmerksame Ohren trifft, die genau dasselbe tun: Teilen der Nachricht, Hineinversetzen in den Sendenden, Nachempfinden.
Das mag manchmal schwerfallen, hat man doch das Geteilte vielleicht bereits gehört oder möchte eigentlich gerne selbst etwas mitteilen. Doch bevor man den Ball zurückspielt, muss man ihn erstmal annehmen und dafür wiederum wachen Auges das Spiel beobachten.
Irgendwann ist das nicht mehr notwendig, und er scheint wie von allein hin- und herzutanzen, locker leicht und mühelos. Dann macht das Gespräch Freude, dann laufen beide Spieler zu ungeahnter Höchstform auf. Das sind die Momente, wenn man euphorisiert aus dem Gespräch geht. So, als ob ein kleiner Samen neuen Mutes in einem gepflanzt wurde.

Wir alle können das, zuhören und unser eigenes Kopftheater mal zurückdrängen. Tun wir es. Es kann so nett sein.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Freitagskram

Hier mal wieder eine kreuz und quere Ausschüttung meiner Gedanken der letzten Stunden:  - Lasst uns einen Moment innehalten und dankbar sein, was Medizin heute alles bewirken kann. Welch eine Macht! Immer, wenn sich mein Körper auf unerwünschte Weise meldet, wird mir bewusst, wie großartig Medikamente und ihre Entdeckung sind: Wie toll ist es, keine Schmerzen mehr zu haben, den Antrieb zu steigern und die grauen Schleifen, die unsere Hirne manchmal unnötigerweise ziehen, umzulenken? Danke an all die Menschen, die sich unermüdlich dem Ergründen von Regelkreisen, Enzymen und Wirkstoffen gewidmet haben. - Manchmal bereitet es mir eine diebische Freude, mittelalte, manchmal - aber nicht immer - grantige deutschen Mittelstandsbürger:innen irgendwie zu provozieren oder zumindest zu entrüsten. Das tue ich, indem ich zum Beispiel meine Strumpfhose in der Öffentlichkeit aus- oder anziehe (schließlich verschätzt man sich im deutschen Frühjahr und Herbst gerne mal um 5-10 Grad in der Temperat...

Werde ich seltsam?

Die meisten Momente in meinem Leben verbringe ich allein. Ich arbeite, wandere, schlafe und scrolle (überwiegend) allein. Das finde ich auch gut so. Nur manchmal flüstert eine leise fiese Stimme: "Ist das normal?" Es mag mein heteronormatives Weltbild sein, Angst vor Einsamkeit (im Alter) oder eine gesunde Prise Selbstkritik - diese Stimme kann mir ganz schön zusetzen. Worte wie "Eigenbrötler", "Katzenlady", "Weirdo" oder "Dauersingle" schieben sich in mein Bewusstsein. Werde ich komisch, wenn ich zu viel Zeit alleine verbringe? Eigne ich mir nach und nach seltsame Verhaltensweisen an, ohne es zu merken? Werde ich zu dieser Person, die von anderen mit Befremden mit einem gehörigen Sicherheitsabstant beäugt wird? Über die Mütter zu ihren Kindern sagen "nee, mit der spielen wir nicht" oder "Schatz, ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist"? Aua.  So gern ich allein bin (es kann gar süchtig machen), fürchte ich doch die...

Völlig losgelöst

Ich habe kein Wlan zuhause. In meinen Ohren klingt das wie ein Steinschlag, schwer und vernichtend. Soziale Zusammenkünfte bei mir: nicht möglich. Mit einem gewissen Unbehagen lasse ich diese Hiobsbotschaft beim täglichen Plausch mit Freunden fallen. Ich manövriere mich ins soziale Abseits, weil ich Fragen nach einem Besuch bei mir immer wieder ausschlagen muss und keiner mir mittlerweile die Nummer mit dem Internet abkauft. Come on, seriously? Wir leben in 2018, das Einzige, was man ohne Internet kann, ist Hackfleisch braten, Schätzchen. Digital Detox okay, aber gezwungenermaßen ohne Internet, das kannst du deiner Oma erzählen. Ich muss mir immer wieder selbst versichern, dass ich nicht lüge, weil ich ein Misanthrop bin und niemanden zu mir einladen möchte. Aber es ist die Wahrheit, so glaubt mir doch! Ich komme mir vor, als lebte ich in der russischen Tundra anstatt in einer (ost-)deutschen Großstadt. Abgeschnitten, abgehängt, zurück in den 80ern. Ich decke mich mit Büchern ein...