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They see me rollin'

Wenn eine Musikbox gegen das Radio anplärrt, eine Fußballmannschaft vor Hitze ihre Trikots auszieht, zwei fahrende Musikanten auf ihren Trompeten für ein paar Pesos tröten und Ginseng einem als Wundermittel gegen jedes Wehwehchen von erhöhtem Cholesterin bis zu Ohrenschmerzen angedreht wird – dann befindet man sich in einem bolivianischen Bus. Charakteristisch auch die obligatorische Viertelstunde Verspätung bei der Abfahrt. Immense Berge überwuchert mit Grün, Täler mit Bächen und verschlafene Dörflein lassen einen stundenlang aus dem Fenster stieren. Wegen des Visums bin ich wieder auf dem Weg in den Irrgarten Santa Cruz (Anmerkung im Nachhinein: auf der Suche nach dem Zentrum werde ich noch eine Stunde tourimäßig mit Schlafsack unter dem Arm herumirren). Beim Buchen habe ich die Frage nach dem Nachnamen mit der nach dem Ziel verwechselt, und so wäre heute fast Carolin Santa Cruz nach Lehmann gefahren.
Die drei Tage in Comarapa verliefen ruhig. Im Kindergarten bewegt sich mein Emotionsspektrum zwischen Ratlosigkeit angesichts der Frechdächse und Freude. Wenn dreißig Kinder um einen herumwuseln, wessen Herz geht da nicht auf wie ein frischer Hefeteig im Backofen? Sie weigerten sich vehement, mir zu glauben, dass Birnen in der Regel nicht rot sind. Na gut. Werden sie beim nächsten Einkauf ihr blaues Wunder erleben, wenn sie erkennen, dass die Kerne der Melone sich nicht in deren Schale befinden… Auf den altbekannten Trick, das Essen „aus Versehen“ auf den Boden zu kippen, weil es nicht ganz so mundet, versuchte ich, nicht allzu wütend zu reagieren. Auch, wenn der Nachtisch dann überraschend zackig und ohne Verschütten reinlief. Manchmal würde man ihnen echt die Schlitzohren lang ziehen –wären sie dann nicht wieder so süß wie der Vanillepudding, der ihnen von der Nase tropft. Mit meinen Sprachkenntnissen stoße ich immer noch an meine Grenzen. Die anderen Freiwilligen belegen jetzt Sprachkurse. Uns allen gemein ist, dass wir in unseren Projekten nicht allzu viel bewegen können. Pauline trommelt im Jugendzentrum, Richard gibt Cellounterricht, Jana tanzt – ansonsten beschäftigen wir uns mehr oder weniger nutzbringend. Bei den Tänzen zum Beispiel, die die Zwuckel für ein Fest einüben, komme ich selbst nicht ganz hinterher. Die Purzelbäume werden solange in der Wiese geübt, bis die Kinder aussehen wie mit Gras paniert.
Diese Woche habe ich zum ersten Mal von Hand gewaschen – weniger erfolgreich- und meinen Papiermüll verbrannt. Mit diesen spannenden Ereignissen (nicht.) beende ich meine Ausschweifungen. Tschüssikowski!
P.S.: Über Kommentare - auch kritischer Art - freue ich mich unheimlich! :)

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