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Pack die Badehose ein

Schwarzer Rauch steigt auf. Nicht aus dem Vatikan, sondern aus der Steckdose, die anscheinend temporär nicht sehr gut mit dem Stecker des Wasserkochers harmoniert. Antons und meine tägliche Gymnastik ist das Kratzen unserer unschätzbar vielen Mückenstiche. Desweiteren sehe ich aus wie ein russischer Wodkaliebhaber, da ich mir mal wieder die Nase verbrannt habe. Abgesehen von diesen marginalen körperlichen Malessen kann ich zurzeit jedoch kaum klagen.
Das Wochenende in Santa Cruz gestaltete sich heiß, faul und alkoholgeschwängert. Am Samstag begingen wir Chrissis Geburtstag; auch sie kam in den Genuss einer kostenlosen Gesichtsbehandlung a la Sahnetorte. Auf dem Familienfest ihrer Gastfamilie am darauffolgenden Tag ging das Gebechere weiter und inmitten  von vierzig Bolivianern landeten die beiden Gringos auf dem Familienfoto (die Mehrheit dort wusste wahrscheinlich nicht mal, wer ich überhaupt bin). Seit Montag bin ich jetzt keine illegale deutsche Zecke hier, sondern genieße dank meines Visums ein Jahr Aufenthaltsrecht auf dem heißen bolivianischen Boden. Klar, dass das nicht ohne zweieinhalbstündiges Warten in der Einwanderungsbehörde vor sich ging. Aber hey, jetzt habe ich einen Schnipsel mit vielen Nummern und einem ästhetisch wenig ansprechenden Schwarzweißfoto. Um meinen Bus nach Comarapa zu bekommen, schlug ich mich durch den Santa Cruzschen Micro-Dschungel und schwitzte vor lauter Angst, nicht rechtzeitig zu kommen, mein T-Shirt durch. Indessen kaufte sich der Fahrer noch gemütlich ein Mittagessen. Am Busbüro angekommen, informierte mich die zuständige Mitarbeiterin ganz gelassen, dass der Bus nun immer eine halbe Stunde später fahre.
Mit Mellis Gastmama und Anton versuchte ich mich am Dienstag in Aerobic, Zumba und Tanz –vorgetanzt von jungen und sehr gut gebauten Menschen auf einer von Dollis Tanz-DVDs. Obwohl Anton und ich uns wirklich Mühe gaben, sahen wir wohl eher aus wie motorisch eingeschränkte Hampelmänner. Vielleicht lag das aber auch an den teils echt witzigen Gestalten mit grellbunten Sport-Bustiers, die uns einfach zu sehr ablenkten.
Am Mittwoch ging es mit den jüngeren Kiddies des Kindergartens und den dazugehörigen Mamas in einem Pickup an den Fluss. Außer Essen, Spiele spielen, Essen und Essen taten wir nicht viel. Ach ja, und ich verbrannte mir meine Nase. Oder habe ich das schon erwähnt? Ein bisschen wunderten mich die Mütter, die größtenteils noch sehr jung waren, teils aber schon ein weiteres Kind an der Brust hatten. Weil es angeblich die Kräfte des Kindes stärken soll, wickeln manche Chulitas ihr Kind mumienartig in elastische Tücher ein und tragen es in einem riesigen Tuch auf dem Rücken, sodass es sich gar nicht bewegen kann. Irgendwann registrierte ich ein höllisches Brennen unter meiner Nase. Den Grund fand ich schnell: Ich hatte für das Essen kleine grüne „Paprika“ geschnitten, die eigentlich Chilischoten waren, und mir das Zeug im wahrsten Sinne des Wortes unter die Nase gerieben. Die Mamis schauten etwas irritiert, als ich zackig wegstürzte, um mir die Nase zu waschen.

Am Donnerstag folgte Ausflug Nummer zwei. Wir packten die größeren Schlawiner in einen Bus und tuckerten zu einer etwas verborgenen Stelle am Fluss. Wir aßen –wie ungewöhnlich!-, die Kinder spielten im Sand und badeten im Fluss. Ganz selbstverständlich stiegen auch ein paar von den Lehrerinnen UND die Chefnonne MIT ihrem Kleid ins Wasser. Also pellten Anton und ich uns auch aus unseren Klamotten und hockten uns in den kühlen Strom. Anton war wieder ein beliebtes Fotomotiv.




Zoes mondaene Frotteehaube

Auf dem Rueckweg- das erste Mal, dass die Kinder ruhig sind


Zwischen all der fröhlichen Momente kam eine eher schlechte Nachricht: Bei Alvaro, über dessen unermüdliche Nervkraft ich mich in einem älteren Blogpost beschwert hatte, wurde Verstopfung der Gehirnflüssigkeit festgestellt, die nun schnell operiert werden muss. Das Einbauen einer Pumpe und die Nachbehandlung kosten jedoch 4000 Dollar, über die die Mutter nicht verfügt. Nun sind wir am Autreiben von Mittel. Uns und vor allem Alvaro wäre sehr geholfen, wenn vielleicht ein paar von euch auch  etwas beisteuern. Das muss keine große Summe sein und es soll sich auch niemand verpflichtet fühlen. Die Details zur Bankverbindung folgen in Kürze. Liebe Leser, das wäre wirklich super von euch!

 Was mir hier sonst noch so passiert: Vergesse, auf dem Markt meine Tomaten zu bezahlen; Anton entdeckt ein kakerlakenähnliches Viech im Flur, über das wir erst mal einen Becher stülpen; die Kinder tanzen auf „Moskau, Moskau“; Freitag ist Kjaras-Tag, was Schweinefleisch mit Schweinehaut (!) ist; bei Regen fällt regelmäßig Strom und Internet aus; zu guter Letzt die Frage eines Internatskindes an Wiebke:
„Gibt es in Deutschland Küchen?“

Nein, wir kochen auf dem Feuer.

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