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Alles easy (Teil 4)

Die Recoleta im Nieselregen
Ist es nicht immer so, dass man reisen geht, voller Vorfreude was einen erwartet – und dann buchstäblich im Regen steht? So ging es Isi und mir am ersten Tag unserer Reise. Nach einer durchpennten Fahrt von Comarapa kamen wir im Morgengrauen des 13. Märzes in einem bewölkten, benieselten Sucre an und setzten uns erstmal in das einzige zu dieser unmenschlichen Zeit geöffnete Cafe. 

Als die Stadt langsam aufwachte, beschlossen wir, wir könnten jetzt die WG meines Mitfreiwilligen Lorenz stürmen und 

die Leute aus ihren Betten schmeißen. Nein Spaß, eigentlich wollten wir nur unsere monströsen Rucksäcke abstellen. Bis wir uns allerdings durch den Markt gequetscht und bis zum Viertel der WG vorgedrungen waren, war es schon zwölf und Lorenz begrüßte uns zumindest halb wach.
 Er empfahl uns als Ausflugsziel ein Dorf in der Nähe mit einem tollen Markt und so saßen wir wenig später im Truffi nach- Überraschung- Tarabuco. Ja, in diesem netten Nest schauten wir zwei Mal vorbei. Der außergewöhnliche Markt entpuppte sich als stinknormale Kleidung-Krimskrams-Kommerz-Meile. Wir stiefelten auf ein Hügelchen und diskutierten, ob bolivianische Menschen freundlicher und offener sind als deutsche. Meine Schwester, die ein paar Mal übers Ohr gehauen wurde und mit ihrem Spanisch noch in der Entwicklung war (ist schon viel besser geworden, Isi, alles gut :) ) beschwerte sich außerdem über die Machos hier, die ihr sogar als verschwitzte Läuferin hinterherpfiffen. Bei der Rückfahrt zeigte sich mal wieder der Gruppengeist des Menschen: Die wenigen Truffis, die auf die Plaza auffuhren, wurden sofort bestürmt wie Wühltische beim Sommerschlussverkauf, sodass wir erst in den fünften Minibus quetschen konnten. 

Nach diesem anstrengenden (Ironie an) Tag genehmigten wir uns geniale Tukumanas (frittierte Teigtaschen) in einem vegetarischen Restaurant voller Gringos. Wieder mal stellte ich am nächsten Morgen fest, wie gut es sich mit genügend Müdigkeit auf einem halben Meter breiten Sofa nächtigen lässt. Weiter ging es nach Potosí, aber diese Episode habe ich ja schon (vielleicht zu ausführlich :) ) geschildert.
Was meine Schwester überhaupt hierher verschlägt? Außer der Tatsache, dass sie ihre kleine Schwester abgöttisch liebt, ihre Reiselust und ihre elends langen Semesterferien. Spontan hatte sie im Januar einen Flug gebucht und stand an einem Donnerstagnachmittag, erschöpft nach der vielen Busfahrerei, mit ihrem Riesenrucksack plus Ukulele in Comarapa. Wir hatten uns ein dreiviertel Jahr nicht gesehen, entsprechend groß war die Freude, und wir konnten den ganzen Abend nicht aufhören, zu quasseln. Am nächsten Tag begleitete sie mich nachmittags in den Kindergarten und freundete sich mit einem Mädchen an, das sie aufgrund seiner kurzen Haare die ganze Zeit für einen Jungen hielt. Auch die anderen Kinder waren begeistert von „senorita Isabel“ und tanzten im Kreis um sie herum. Sie wiederum war nicht wirklich begeistert von unserer etwas ranzigen Karaoke und der dröhnenden Musik. Als techno-gewöhnte Berlinerin ist das vielleicht auch nicht so verwunderlich….Den Samstag verpennten wir zur Hälfte, rafften unsere sieben Sachen zusammen und starteten abends – immer noch in Laberlaune- Richtung Sucre. Der Rest ist Geschichte.

Nach knapp zwei Wochen zusammen, vielen schönen Erlebnissen und gemeinsamem Lachen fiel vor allem mir der Abschied von ihr unglaublich schwer. Die Leute an der Bushaltestelle in Santa Cruz müssen sich gefragt haben, ob die Gringa irre ist, so habe ich geheult. Dies sollte aber nicht unser letzter Moment zusammen sein – Fortsetzung folgt…

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