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Posts

Neue Normalität

 Meine Schrecktoleranz ist gestiegen. Dinge, die mich vorher erstaunt bis geängstigt hätten, bewirken nur noch ein müdes "Aha". Ich rechne mit allem. Nach neun Monaten Leben in Habachtstellung - mal mehr, mal weniger - scheint es kein "Davor" mehr zu geben. Wenn Menschen in Büchern oder Filmen keinen Mundschutz tragen, Restaurants besuchen, zuckt es in mir. Wie lange ist das her, dass so etwas ganz normal war, Alltag?  Lange, scheint mir. Ich habe mich an die neue Normalität gewöhnt. Soziale Kontakte sind bei mir assoziiert mit Frieren, Bars und Cafés sind Relikte aus früheren Zeiten. Ob wir die wohl noch einmal geöffnet erleben?, frage ich mich und weiß nicht, wie weit ich mit diesen Zweifeln von der Realität entfernt bin. Weil alles möglich scheint.  Immer noch kenne ich selbst keinen Menschen, der an Covid erkrankt ist oder war. Dadurch ist es immer nur ein wages Ahnen, ein Runden-Drehen um den heißen Brei. Was ist das denn nun? Wie fühlt es sich an? Wie gefährli...

Vier Wände im Kopf

Ausgangsbeschränkungen. Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Schranke, die sich vergangenen Montag vor meiner Tür niedersenkte. Mich gewissermaßen abschnitt von meiner menschlichen Umwelt.  Wir sind zurückgeworfen auf uns selbst. Wachen nicht nur mit uns selbst auf und gehen mit uns ins Bett, sondern sind unsere ArbeitskollegInnen, FreundInnen, Busfahrenden, KellnerInnen im Café und Mithörenden einer Vorlesung. Was macht das mit uns?  Zum Einen sehe ich die Gefahr, durch das ununterbrochene Um sich selbst Kreisen den Bezug zur Außenwelt zu verlieren. Ich befürchte, dass die Wände meiner eigenen kleinen Blase undurchlässig werden und ich im Sumpf meiner eigenen Ansichten, Gedanken und meiner eigenen Realität versinke.  Zum Anderen bin ich und auch nur ich (theoretisch zumindest) die Referenz für mein Denken und Tun. Sozialer Vergleich beschränkt sich auf das, was ich sozialen Netzwerken entnehme (die, wie wir alle wissen und hoffentlich bei ihrer Nutzung auch immer im Hin...

Kleine Ansprüche

Anpassen, nicht anecken, gefallen. Niemanden vor den Kopf stoßen. Bloß nicht unbequem sein. So wäre ich gerne - und bin es nicht. Aber für welchen Preis? Nichts wagen - am Ende nichts gewinnen. Nichts Falsches machen- gar nichts machen und in Lethargie verharren? Nein, so will ich nicht leben. Was will ich sehen, wenn ich auf mein Leben zurückblicke? Fleißig abgesessene Acht-Stunden-Tage in einem stickigen Raum vor einem Computer, der 27 mal schlauer ist als ich? Oder, auch mal geschwänzt zu haben, um das zu machen, was an dem Tag eben wichtiger ist: Die Füße in einen kalten Bach zu hängen oder ein vierstündiges Gespräch auf einer schmutzigen Bordsteinkante zu führen. Weil es sich so. verdammt. gut anfühlt. Ich werde nichts Großes, Bedeutendes sein, kein Nietzsche, vielleicht nicht mal jemand, der stolz auf seine Leistungen sein kann. Aber ich hab die Chance - und die hat jeder von uns, immer - mich wohl zu fühlen. Jetzt gerade. In diesem Moment. Jemand zu sein, der ich g...

Der Geist auf Exkursion

Heute habe ich eine Lektion gelernt. Oder vielleicht auch mehrere. (Warnung: Jetzt wirds persönlich. Für den ein oder anderen mag das etwas viel oder befremdlich sein.) 1. (Gefühlte) Abhängigkeit von der Anwesenheit Anderer kann aufgelöst werden. Sich dazu einfach mal eine Weile bewusst dem Alleinsein aussetzen und schauen, was passiert.  Was ich feststellte: Nichts. Oder eigentlich sehr viel. Von außen kann man eine Neukonfiguration der Synapsen vielleicht noch so gut sehen, aber von innen sieht es schon ganz schön anders aus, wenn die Tapete mal gewechselt wird.  Was ich nämlich erstaunt feststellte: Das Alleinsein lässt sich nicht nur ganz gut aushalten, sondern macht frei und eine Menge Spaß.  2. Fahrradfahren muss gar nicht furchtbar sein.  3. Starre Vorstellungen und scheinbare Wahrheiten werden manchmal automatisch gelockert, wenn kein anderer Weg mehr daran vorbei führt. Dann dafür recht effektiv. Wenn man die Zügel mal locker lässt und festste...

Besuch, der über Nacht bleibt

Etwas wissen und genau das Gegenteil tun. Etwas fühlen, was man nicht fühlen will, und es wegdrücken wie einen unliebsamen Anrufer. Handeln mit einem dumpfen unguten Kloß im Bauch. Igitt. Her mit dem Gefühl! Wo es sich jetzt so lange vor der Tür die Beine in den Bauch stehen musste, verdient es eine ordentliche Tasse Kaffee mit Schuss und ein heißes Bad (vorausgesetzt, es ist Winter. Ansonsten vielleicht eher ein kühles Pils.). Dann darf es losschießen, erzählen, was ihm so widerfahren ist auf seinem Weg her und was es so erlebt hat die letzten Jahre. Alt ist es geworden, aber es hat sich nicht verändert. Es kommt immer noch mit derselben selbstverständlichen Nonchalance daher. So, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte ich es nicht so etwa zwölf Jahre ausgesperrt. Es ist nicht böse oder nachtragend. Es ist einfach nur froh, da sein zu dürfen und endlich ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Beschimpfungen hat es vergessen. Zum Glück. So freunden wir uns irgendwie an. Das Gefühl ...

Das Kind

Wenn man mit jemandem sein ganzes Leben verbracht hat, würde man doch meinen, kenne ihn oder sie ganz gut. Oder? Pustekuchen. Ich scheine mich selbst ungefähr so gut zu kennen wie den Ortsvorsteher von Wolfsbüttel (zu dem ich weder familiäre noch freundschaftliche Kontakte pflege). Im Grunde genommen bin ich weiten Teilen von mir selbst fremd: Was unter der obersten Schicht liegt, ist unentdecktes Land. So tief stochert man für gewöhnlich nicht zwischen Abendessen und Zähneputzen. Muss ich Angst vor dem haben, was dort schlummert? Sind DAS diese "dunklen Abgründe", die in Geschichten über Axtmörder immer für die "grausame unmenschliche Tat" verantwortlich gemacht werden? Haben wir alle solche Leichen im Keller und sind nur einfach sehr geübt darin, das Modern zu ignorieren? So finster sehe ich das nicht. Letzte Woche machte ich Bekanntschaft mit so einem Untergrundwesen. Es tauchte einfach aus den Untiefen des Kellers bei mir auf. Ohne teuflische Fratze, sondern ...

Es blüht und zwitschert - Achtung Kitsch

Glaubt man Nachrichten und Internet, geht gerade die Welt unter. Oder zumindest die Menschheit. Draußen blüht zartlila der Flieder und schnuppert zauberhaft.  Auch ich bin verzaubert. Ist das etwa dieser Frühling?! Auf einem Glockenspiel tanzt etwas ChaChaCha, Kling-Klang. Oder ist das doch nur Spotify? Man weiß es nicht.  Ach, ist doch egal, man hört, was man hören will. Süßer die Glocken nie klingen. (Süßer als ernste Virologenstimmen allemal.) In der Luft liegt Sommer, Aufbruch, Schweiß und Abenteuer, und mir hat jemand Zucker in den Po und Watte (oder Federn?) in die Omme geblasen.  Wäre da nicht dieses, na, wie heißt es - Pflicht -, was da immer wieder fies lachend reinpfuscht und mit dickem schwarzem Edding Jux und Träumerei zensiert. Achso, ja, fast vergessen, das Leben ist ja kein Ponyhof und schließlich bin sind wir nun erwachsen. Dabei erwächst gerade doch so viel Wertvolleres....