Wenn es um Gesundheit geht, messen wir anscheinend immer noch mit zweierlei Maß.
Ein gebrochenes Schlüsselbein oder eine Weisheitszahn-OP erregen mehr Mitgefühl als eine depressive Episode oder eine Angststörung. Klar, psychische Erkrankungen verlaufen oft chronisch oder sind zumindest langwierig, sie haben meist keine akut schlimme, schmerzhafte oder sehr gefährliche Phase und können oftmals nicht nach einem festgelegten Schema mit guter Heilungsprognose behandelt werden. Was meines Erachtens aber den wirklichen Unterschied macht, ist, dass sie schwerer greifbar sind. Wie sie sich äußern und wie sie entstehen, können sich viele Menschen einfach nicht vorstellen. Dabei bin ich überzeugt, dass jede(r) schon mal miese Tage hatte und das Gefühl kennt, wenn einem nichts so richtig Spaß machen will. Der Weg zur Depression führt lediglich über eine verlängerte Dauer und Intensität, die zusammen dann den diagnostisch erforderlichen Leidensdruck ausmachen. Wieso also stellen wir uns so an, wenn es um psychisches Leiden geht?
Haben wir immer noch Berührungsängste? Also bitte. Das darf und wird hoffentlich nicht wahr sein. Psychische Tiefschläge sind nicht erst seit der Pandemie omnipräsent in den Medien. Ich kann es schon nicht mehr hören, was alles Depressionen hervorruft/begünstigt und wie die Prävalenzen gestiegen sind. Das Problem ist nicht neu. Es wird nur jetzt mehr ins Scheinwerferlicht gerückt. Das bekommt ihm nicht immer gut. Nicht jeder, der drei, vier Tage im Stimmungsloch sitzt leidet unter einer klinischen Depression. So wie Schicksalsschläge bis zu einem gewissen Grad zum Leben dazugehören, so tun es auch Tiefphasen. Oftmals liefern sie wertvolle Erkenntnisse: Was nicht mehr passt im eigenen Leben, was dringend geändert werden muss. Manchmal auch nur die eigene Einstellung. Sich unnötig lange plagen muss aber keiner. Auch hier gelten ähnliche Prinzipien wie in der somatischen Medizin: Je früher ein Schaden abgewendet werden kann, desto besser. Vorsorge ist besser als Nachsorge (ich weiß, der ist alt). Aber wenn das Kind nun schon einmal weit unten im Dunkel des Brunnens hockt, holt man es eben wieder raus. Zur Not mit reißfestem Tau und Tauziehmannschaft. Weil es nicht da unten verbleiben muss. Am Licht ists doch netter.
Packen wir es an, das Ominosum (gibts wahrscheinlich nicht, das Wort, fänd ich aber dufte) mentale Gesundheit. Ich persönlich finde das viel überschaubarer als die unfassbar komplizierten Abläufe innerhalb des Körpers. Aber ich kann mir nicht mal den Unterschied zwischen Arthrose und Arthritis merken oder ab wann man von Bluthochdruck spricht. An dieser Stelle möchte ich meinen Respekt gegenüber jeglichem medizinischem Personal bekunden. Nicht erst seit der Pandemie raubt es mir den Atem, was all diese Menschen tagtäglich an körperlich, kognitiv und menschlich belastender Arbeit leisten. Touché, madames et monsieurs (auch das war wahrscheinlich völlig falsch). Ich ziehe mein Haarteil vor dieser lebensrettenden Lebensleistung.
Nun freue ich mich auf das erste Mal wieder harte Lebensmittel, Saures (Cornichoooooooons), Bier und frische Luft, auch wenn ich letztere erstaunlich wenig vermisse. Ich bin eben doch die geborene Inneneinrichtung. Was mir fehlen wird: Fernsehen, hochfahrbare Kopfteile am Bett, ein Klo im Zimmer, die abendliche Stille in Lobeda, die Sauberkeit hier im Zimmer, dass immer mal wieder jemand hier reinschneit, es nonstop heißes Wasser gibt, den Sprudelautomat und natürlich die Fruchtzwerge, meine kleinen Freunde.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen