Direkt zum Hauptbereich

Allein Reisen

Reisen führen uns an fremde Orte, zeigen andere Landschaften, Lebensweisen und informieren. Lehrreich können sie aber auch in viel banalerer Weise sein. Was mir meine just zu Ende gegangene (ein bisschen traurig bin ich schon) Reise zeigte: 

- Reisen - und ich denke, besonders das Alleine-Reisen - brachte mich auf die höchsten Gipfel und in die tiefsten Täler, vor allem bildlich gesprochen (buchstäblich aber auch). Momente, in denen alles sich zu fügen scheint und ich die Welt umarmen könnte vor Erfüllung, lagen nah an Momenten der Zerknirschung, Einsamkeit und des Zweifels am ganzen Unterfangen (wenn nicht gar dem eigenen Leben). Was die Täler auslöst, scheint dabei fast willkürlich zu sein: Erschöpfung, Harndrang, ein verpasster Bus, eine unsensible Bemerkung, Müdigkeit, Schnarcher (kein Gendern notwendig) im Zimmer oder das Bewusstsein, den ganzen Tag noch mit niemandem geredet zu haben (zugegeben, das ist auch manchmal in meinem Leben zuhause so). Wie man das vermeiden kann, weiß ich leider nicht, und vielleicht geht das auch gar nicht. Was hilft, ist, sich zu erinnern, dass auch das vorbeigeht. Je länger ich unterwegs war, desto mehr solcher Momente durchlebte ich, und alle gingen irgendwann vorbei. Ja, oftmals folgte direkt darauf ein Hoch - vielleicht auch, weil es aus einem Tal immer erstmal wieder bergauf geht. 

- Ebenfalls ein eher unerwünschtes Gefühl: Einsamkeit wird vermutlich kommen. So überragend es ist, tolle Orte zu besuchen und in beeindruckenden Landschaften zu wandern, manchmal hätte ich diese Erlebnisse schon gern mit jemandem geteilt. Ein lustiges, verstörendes oder ambivalentes Ereignis mit jemandem besprochen. Sich gegenseitig ermuntert, wenn es mal zehrend war. An anderen Stellen war ich sehr froh, alles selbst entscheiden und für die Folgen selbst verantwortlich zu sein. Die mitunter irrationalen Entscheidungen, die ich traf, hätte ich wahrscheinlich nicht vor jemand Anderem rechtfertigen können. 

- In den letzten Jahren - vor allem, seit ich ein Einkommen habe - ziehe ich Einzelzimmer Hostel-Schlafsälen vor. Manchmal ist das aber aus finanziellen oder organisatorischen Gründen nicht möglich. Die letzten drei Nächte dieser Reise machten mir aber wieder deutlich, warum ich Hostels meide: Schnarcher. Ich hätte sie mit Fausthieben in ihr Bett rammen wollen. 

- Vielleicht wirke ich nicht sehr sympathisch ("Guck doch nicht so grimmig"), aber oft brauchte es etwas Initiative, bis ich mit Menschen ins Gespräch kam. Nicht alle waren offen und nett. Andere dafür umso mehr. Eine Engländern im Vorruhestand, die sich sagte: Warum nur Reisen, wenn man jung ist, und die mit Interrail durch Frankreich mäanderte und in Hostels schlief. Inspirierend. Ein quirliger Hotelinhaber aus Kambodscha, der trotz Schlagseiten im Leben Spaß hat. Ein in Marseille lebender Algerier, der fürs Champions-League-Finale nach Dortmund fahren will. 

- Manche Sachen brauchte ich nicht so dringend, wie ich dachte - eine Schlafmaske oder Seife -, andere hätte ich mal lieber mitnehmen sollen - ein Deo aus Gewichtsgründen zuhause zu lassen ist NICHT weise -, und wieder Andere gilt es, gut im Auge zu behalten - auch wenn ich mir einredete, es sei nicht so schlimm, ärgerte ich mich doch sehr, meine Kopfhörer verloren zu haben. 

- An manchen Stellen stimmt das Klischee: Viele Französ:innen sprechen wirklich wenig Englisch. Hingegen geben sie sich viel Mühe, die unzusammenhängenden Brocken Französisch, die ich zusammenstammelte, zu verstehen. Vielleicht zählt hier vor allem der Willi.

- Ich musste mir immer wieder selbst klar machen, dass es nicht darum geht, was Andere in einer bestimmten Situation machen oder sich anschauen würden. Sondern dass ich entscheide. Ich muss keine Sehenswürdigkeiten abklappern, wenn ich keine Lust habe. Es ist total okay, einfach rumzustromern und Häuser, Cafés und Parks zu betrachten. 

- Vielleicht habe ich die Körperhygiene etwas vernachlässigt in diesem Urlaub. Denn nach einer Dusche (oder einer Einheit Deo - siehe Punkt 4) fühlte ich mich gleich so viel wohler.

- Sachen dürfen auch etwas kosten. Ich bin generell viel zu geizig, obwohl ich eigentlich der Meinung bin, Lebensmittel und gastronomische Services sind viel zu günstig, vor allem in Deutschland. Es geht auch nicht darum, "sich mal was zu gönnen", weil man ja "schließlich im Urlaub ist". Genuss bereitet Freude und erhält am Leben. Das sollte Grund genug sein. Noch einen Kaffee, eine Nacht in einem schnuckligen Appartment, ein Kilo lokal angebautes Obst? Oh ja.  

- Schweiß, Dreck, Flecken auf der Kleidung, Mückenstiche, ausgelaufene Körperpflegemittel im Rucksack, Schulterschmerzen vom Tragen des selbigen, Sonnenbrand, Augenringe, Stinkefüße, Allergien, verschobene Schlafzeiten, verlorene Gegenstände, Hunger, Harndrang, undichte Schuhe, nicht fahrende Busse, sich Verlaufen, Leute, die den Schlafsaal um 4 Uhr morgens geräuschvoll verlassen und Touristenhasser:innen im Service sind integrale Bestandteile des Reisens. Wie Reddit sagt: Well, that sucks. Aber geht auch vorbei (siehe Punkt 1). 

- Bücher, Videos, Musik, Podcasts und gepflegte Websites können von Schmerz, Müdigkeit, Frust und Einsamkeit ablenken und lange Zugfahrten erträglich machen. Ich hatte auch den Eindruck, viel empfänglicher und konzentrierter bei der Sache zu sein als im Alltag. 

So, das war's, alles nix Neues. Teilt mir gern eure Erlebnisse und Tipps fürs Reisen mit.
Bis dahin, lasst's euch gut gehen, und das in Fülle.


 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Einsamkeit

Einsamkeit bricht nicht plötzlich über einen herein wie ein Gewitter. Vielmehr schleicht sie sich leise, zunächst unbemerkt an. Schwelt wochen- oder monatelang vor sich hin wie Schimmel, bis zu dem Tag, an dem man beim Staubsaugen die Zimmerecke mal etwas genauer inspiziert. Ab diesem Moment, der durch einen leichten Schreck gekennzeichnet ist, fragt man sich: Wie konnte ich das so lange nicht sehen?  Das Problem ist: Genau wie gegen Schimmel gibt es gegen Einsamkeit kein akut und sofort wirksames Heilmittel. Das ist das Blöde an Erwachsenenproblemen, dass man sie nicht einfach wegheulen oder -trösten kann. Eine Internetrecherche fördert auch keine neuen Weisheiten: Einfach raus gehen, Vereinen beitreten, Leute ansprechen. Introvertierten Menschen läuft es kalt den Rücken hinunter.  Vor allem hat die Einsamkeit bei mir nicht unbedingt etwas mit einem Mangel an Kontakt zu tun. Vielmehr ist der die Folge, und die eigentliche eitrige Wurzel liegt in einem Gefühl der Leere. An Si...

Im Sumpf

Viele von Euch kennen das, in der ein oder anderen Ausprägung, in stärkerem oder schwächerem Ausmaß: In den Seilen hängen. Im Loch hocken. Durchgelatscht sein. Während viele Depression immer noch mit Traurigkeit und Weinen assoziieren, macht sie sich bei mir eher durch Leere bemerkbar. Oder eben nicht. Sie fällt einem nicht auf wie ein Ausschlag, der plötzlich auftaucht und sich ausbreitet. Viel mehr schleicht sie sich von hinten an. Genussvolle Aktivitäten machen nicht mehr so viel Spaß, Raus zu gehen stellt eine scheinbar unüberwindbare Hürde dar und die Zukunft wirkt nicht geheimnisvoll, sondern wie eine trockene Steppe ohne Aussicht auf Wasser (etwas zugespitzt, ja). Die Gedanken bleiben nicht bei dem, was man gerade tut, sondern machen munter Ausflüge in die Vergangenheit, in der ja alles vermeintlich so viel besser war. Zurück bleibt ein schaler Geschmack und am Ende des Tages die Frage: Was habe ich heute eigentlich gemacht?  Ich bin im Kopf überall, aber nicht hier. In mein...
Aus dem letzten Loch pfeift sichs auch irgendwie. Wenn sie dir sagen, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Trotzgefühl her. Doch. Es geht, und wie es geht.  Es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich keine Zweifel habe. Die werde ich immer haben. Allein schon deshalb wäre ich nie diejenige gewesen, die zum Mond fliegt. Da könnte viel zu viel schief gehen. Ach, und ist das überhaupt ein erstrebenswertes Ziel, den Mond zu betreten? Dürfen wir das überhaupt? Gibt es nicht Wichtigeres zu tun? What about this, what about that... Der Zweifel als Konstante. I bims, 1 Unsicherheit.  Nichtsdestotrotz und darüber hinweg geht's weiter. Irgendwie geht's immer, und zwischendurch sogar ganz gut. Wer hätte das gedacht? Ich nicht. Trotz und Selbstbehauptungswillen (und Sturheit - nicht stolz drauf) sind mächtige Triebkräfte. Wenn auch nicht immer in die richtige Richtung.  Dabei weiß ich manchmal nicht, ob ich gerade wirklich weiter komme oder einfach weiter mache . Bewegt sich etwas vo...