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Ein vorsichtiges Resümee

 Wir waren vielleicht noch nie in der Menschheitsgeschichte so frei. Frei von Zwängen, von der Notwendigkeit, harte körperliche Arbeit zum Zweck des Überlebens zu verrichten, frei von Normen. Jede und jeder kann sein Leben innerhalb gewisser Grenzen so leben, wie sie oder er möchte. 

Macht uns das glücklicher? Das frage ich mich. 

Wie immer, kann ich mich zur Beantwortung nur auf mich selbst als Beobachtungsobjekt und höchstenfalls noch ein paar Individuen um mich herum berufen. Ich weile jedoch erst eine recht überschaubare Zeit auf diesem Planeten und bin deshalb auf literarische Zeugnisse aus anderen Zeiten und meine eigenen Vermutungen angewiesen. 

Beruflich würde ich uns (jedenfalls in der westlichen Welt und mit einigermaßen sichergestelltem Zugang zu Bildung und Teilhabe) mal ein dickes Plus an Zufriedenheit attestieren. Wir können eigentlich werden, was wir möchten und müssen das auch nicht für immer bleiben. Dass viele Menschen immer noch sehr hart arbeiten müssen, sehen wir spätestens jetzt nur zu deutlich, sei es in Krankenhäusern, an Supermarktkassen, in LKWs oder Zustellfahrzeugen. Das bringt mich zum nächsten Punkt.

Sozial lief es wahrscheinlich schon mal besser. Zum einen die genannte Ungleichheit in Bezahlung, Belastung und gesellschaftlicher Reputation, zum anderen die Gesellschaft, die, so wie ich es wahrnehme, eher weiter auseinander driftet als sich eint. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen (bin künstlerisch eh maximal unbegabt). Wer von euch ist in einem Verein, einem Verband oder einem festen Gefüge außer der eigenen Familie? Vielleicht sind das tatsächlich mehr, als ich so vermute, und ich bin nur eine etwas traurige Ausnahme. Ich selbst glaube immer, nicht politisch versiert genug für eine Partei, nicht aktivistisch genug für eine Umwelt- oder anderweitig aktive NGO und nicht talentiert genug für eine künstlerische Vereinigung wie Theater, Musikformation oder Magazin zu sein. So bewirke ich über meine persönlichen Motive hinaus leider nicht so viel. Bis auf passives Verhalten wie Vegetarismus, Konsumreduktion und der Fürsorge für einige nahe Menschen. Zeit, dass sich da was dreht. 

Was Bildung und Reflexion angeht, finde ich, haben wir es gerade schon ganz schön dufte. Jeder und jede kann sich zu jedem Zeitpunkt über alles informieren, von der Zusammensetzung von Toilettenpapier bis zur Regierungsform Bhutans. Dass ich mich sehr sehr oft für mein Kreuzworträtsel oder das Nachhängen meines eigenen geistigen Dünnpfiffrinnsals entscheide, nun, das ist eine persönliche Entscheidung. Die ich fälle in dem Wissen, dass ich mir in derselben Zeit natürlich auch Wissen aneignen könnte. Aber es ist nunmal nett und macht mein Leben puschlig und gemütlich. 

Gesundheitlich gehts uns wohl auch so gut wie nie zuvor, Pandemie mal ausgeklammert, das ist ja ein hoffentlich vorübergehender Zustand. 

Ein bisschen Sorgen mache ich mir um gesellschaftliche Werte wie Toleranz, Zusammenhalt, Rücksicht, Umsicht und Fairness. Je mehr unser Wohlstand steigt, so scheint es, desto größer die Angst, etwas davon einzubüßen. Da muss ich aber vor meinem eigenen Türchen staubsaugen: Wie oben beschrieben, ist bei meinem gesellschaftlichen Engagement vorsichtig ausgedrückt noch Luft nach oben und wäre ich nicht so ein arger Schisser, hätte ich vielleicht schon den einen oder die andere Passantin auf der Straße angesprochen oder einfach nur meine Nachbarn. Weil so ein kleiner Plausch eigentlich fast so nett ist wie ein Kreuzworträtsel. 

So, nun genug geschwurbelt, ich hab ja eigentlich doch keine Ahnung. Aber ihr vielleicht? Teilt mir eure Meinung mit, sie interessiert mich wirklich! Wirklich!

Bis dahin, frohes 2021, auf dass es ein weiteres Jahr voller Leben und Gefühle werde.

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Freistrampeln

Wenn das Leben zur Ruhe kommt, nicht mehr nur fordert und Aufmerksamkeit verlangt und ständiges Probleme-Lösen, wird Raum frei. Der Kopf wird frei von Nöten, die drücken, zerren, reißen. Der Boden ist geebnet zum Entstehen von Neuem oder Wiederaufleben von Altem; der Blick öffnet sich für das, was um einen herum geschieht. Ich atme durch, erst vorsichtig, misstrauisch, so, als müsste ich erst testen, ob die Luft auch wirklich rein ist. Ob der Stille zu trauen ist oder sie nicht doch jäh durch einen Knall zerrissen wird. Dann hole ich tiefer Luft. Atem fließt ein, Atem strömt aus. Langsam, gleichmäßig, rhythmisch. Befreiung. Wieder Da-Sein statt immer etwas Hinterher Rennen. Die Hände wieder frei haben, um zu Handeln, statt nur zu Reagieren oder stumpf Auszuharren und zu Erdulden. Leben statt Warten. Jetzt. 

Immer mal was Neues

Neu anzufangen erfrischt beim zweiten oder dritten Mal noch fast genauso wie beim ersten. Warum mache ich es dann so selten? Weil es wie ein Sprung in den See ist: Nicht nur erfrischend, sondern auch bezitternd, einschüchternd, Überwindung kostend. Dann doch lieber das gute Alte, Bekannte. In unseren Routinen haben wir uns heimelig eingerichtet, fühlen uns sicher. Hat bisher geklappt, wird es also auch in Zukunft. Was neu ist, ist fremd, will erstmal vorsichtig begutachtet und überprüft werden. Schließlich kann es auch schief gehen, und wo landen wir dann? Offenes Ende.  Der Trugschluss dabei: Ganz oder gar nicht. Ich glaube, mich entscheiden zu müssen, und mit der Wahl des Neuen zwangsläufig das Alte zu verlieren. Unwiederbringlich. Das ist aber seltenst der Fall. Weitaus häufiger können wir erstmal einen Zeh ins kalte Wasser halten und bei maximaler Abstoßung unmittelbar zurück in den Schutz des warmen weichen Handtuchs fliehen.  Trotzdem gibt es natürlich einige Tätigkeiten...
 This week's insights (so far): - Stress and worries are subjective perceptions. What you consider an easy task might be a tough challenge for me. Everyone has their own threshold for when things get too much or too difficult to handle.  - Coffee helps. Almost always. Except from when trying to fall asleep.  - Spending time with friends and family is nice, but when introverts don't get enough alone time, we can't enjoy others' company either. Fill your batteries first. There's no obligation to be sociable all the time. - Shitty days can get better. The next day at the latest.  Maybe not what spring looks like, but a hommage to the grandiosity of beds - Wrapping yourself in the soft coat of sleep can magically remove worries overnight.  - Spring hasn't come yet. So let's enjoy the last days of winter doing what we will be too busy to do during summer: Drinking tea, reading the newspaper, streaming videos and wearing woolen socks.