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Die anderen und ich

"Alleinsein ist uncool."

Diese Meinung erlege ich mir im ersten Semester auf und seitdem begleitet sie mich - mal offener, mal verdeckter - durchs Studium. Jeden Tag sind ein paar bis tausende Studierende um mich, ich sehe sie, höre sie, rieche sie auch manchmal. Wieso sollte man da allein sein?!

Ja, wieso?
Zuerst merke ich: Weil man sie nicht kennt. Man schleicht aneinander vorbei, als würden durchsichtige Tücher zwischen einem selbst und den anderen hängen. Man kann sie berühren, für einen Moment zur Seite schieben, bevor sie sich wieder schließen. Kontakt bekomme ich nur langsam, zu Einzelnen, über Hürden und um Ecken.

Dann: Erste Enttäuschungen, verletzte Erwartungen und schmerzvolle Disharmonien. Nicht mit jedem lässt sich Tau knüpfen, manchmal bleibt es bei einem dünnen Band und manchmal reißt auch das. Erst brennt das ein bisschen, wie eine frische Wunde. Irgendwann vergisst man es.

Zuletzt: Was sagt es aus, viele Freunde zu haben? Ist das nicht eine Fortsetzung des Kampfes um Beliebtheit, der in der Schule über den eigenen Status entschied und dem man eigentlich nur entfliehen wollte? Will ich mich definieren über Andere und ob sie mich mögen oder akzeptieren oder - wie es mir manchmal vorkommt - tolerieren, um auch nicht allein zu sein? Weil das eben uncool ist?
Etwas in mir windet sich bei dem Gedanken, nur mit jemandem Zeit zu verbringen, um sich all die Fragen nicht zu stellen, die kommen, wenn ich allein bin: Warum ist das so? Schmälert das meinen Wert? Macht es mich "komisch", so wie die Leute, die ihre Brille etwas zu tief Richtung Nasenspitze tragen (finde ich, die ihre Wollsocken hochzieht bis Mitte Schienbein, eher sympathisch)? Werde ich eigenartig und schrullig, ohne es zu merken?
Eigen-artig. Jemand hat seine eigene Art. Ist das nicht etwas sehr Erstrebenswertes? Der-/Diejenige weiß, was und wohin sie will und was nicht. Davon komme ich mir gerade weit entfernt vor. Wenn mich das Alleinsein - nicht zu verwechseln mit Einsam-Sein - dem näher bringt, dann nehm' ich davon eine Portion, danke.
Manchmal lehrt einen das Alleinsein auch etwas. Bei mir sind das oft Dinge, die ich mir eigentlich nicht zu lernen wünschte, für die ich jetzt aber dankbar bin. Zum Beispiel, dass Ablehnung erstmal schmerzt, aber dann Wege frei macht für ganz wunderbare andere Erfahrungen, die andernfalls nie gemacht worden wären. Bevor ich diesen Text zu schreiben begann, rief ich einen Freund an, der nicht ans Handy ging. Hätten wir eine kurze und wahrscheinlich sehr belanglose Unterhaltung geführt, hätte ich mich nicht mehr hingesetzt und hier meinen Seelenschnodder hingeschmiert (ob der nun wertvoll ist oder nicht, sei dahingestellt, für mich ist es aber wie eine Lungen- und Hirnreinigung).
Momente und Beziehungen mit Menschen können wunderbar sein und eins der beglückendsten Gefühle ist das der Verbundenheit mit anderen. Aber die kann sich nur einstellen, wenn man sich freiwillig und bewusst dafür entscheidet und nicht aus einem Zwang heraus, nicht auf dem sozialen Abstellgleis zu landen. Nur dann bin ich frei, Nähe zuzulassen und zu genießen. Weil ICH es will.

In vielen anderen Fällen ist Alleinsein manchmal ganz schön cool.

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