Direkt zum Hauptbereich

Hey ho, let's go!

Wer aufmerksam meine Aufzeichnungen studierte, weiß vielleicht, dass ich anfangs das ein oder andere Problemchen, oder nennen wir es fachdeutsch, "Anpassungsschwierigkeiten", hatte. Vielleicht war ich ein deutscher Stecker in einer bolivianischen Steckdose- ohne Adapter. Zwischendurch fiel der Strom aus, das Kabel brach oder die Steckdose war besetzt. Kurz: Es lief (oder eher floss) nicht immer.
Aber wenn ich steckte, dann fest, dann schoss der Strom so durch meine Fasern, dass sich eine Techniknulpe (höhö. Da bin natürlich nicht ich gemeint ;) ) gelegentlich mal ordentlich eine gewischt bekommen konnte. Aber Stromschläge regen ja bekanntlich die Hirnaktivität an :)
Was in den letzten Wochen passierte:

- Mellis und Wiebkes Jugendzentrum wurde neues Make-Up verpasst, und ich beschmierte mehr mich selbst als die Wände.

- Die comarapenischen Gefilde wurden von einer weiteren Schar Allemannen invadiert: Wiebkes Familie brachte ein wenig Deutschland (konkret: SCHOKOLADE!) mit in die trockenen Weiten Boliviens.

- Der Kindergarten veransteltete wieder mal ein lustiges Drehen, Hüpfen und Extremitäten-Schwingen. Ich selbst raffte leider noch weniger von der Bewegungsabfolge der gimnasia (rythmische Sportgymnastik) als meine bambini. So stand ich in meinem knallorangenen Gymnastikanzügchen eigentlich nur irritiert in der Landschaft herum.


- Wohl verursacht durch einen kurzzeitigen Aussetzer oben erwähnter Gehirnaktivität beschloss ich vor ein paar Wochen, ein 14-Kilometer-Lauf sei doch eine super neue Herausforderung und keine völlig bekloppte,  durch röstende Sonne führende Tortur. Auf dem letzten Loch pfeifend schob ich mich in Comarapa ins Ziel und landete in meiner Kategorie auf dem vierten Platz. Von fünf Teilnehmerinnen.


- Mein Abschied wurde viermal zum Anlass genommen, sich mal wieder richtig die Wampe voll zu schlagen. Hatte mein Vegetariertum im Vorfeld zu mittelgroßer Ratlosigkeit bezüglich des Menüs geführt, bekam ich dann Salate unterschiedlichen Mayonnaisegehalts, was auf den Gesichtern der Teilnehmenden nicht immer zu rosiger Verzückung spiegelte. Die Mitarbeiterinnen des Kindergartens bereiteten ein typisches Gericht Comarapas zu - K'jachas, gebratener Käse mit Mais und Kartoffeln-, das ich in einem Jahr nicht auf die Reihe gebracht hatte, zu essen. Ich bekam alles an Geschenken, was der comarapenische Markt hergab, darunter eine wunderschöne Ledertasche, einen Schal aus Alpakawolle und, mein schönstes Geschenk, eine individualisierte (!) Bastelei von einem Kind.
Abendessen mit den Lehrerinnen des Kindergartens
Das da auf der Torte bin ich (oder ein Bild von mri)



- Auch eine Erfahrung: Das Mittagessen bei den Hermanas. Vor jeder Aussage analysierte ich diese mental auf möglicherweise anti-religiösen oder gar ketzerischen Inhalt, die Hermanas jedoch scherzten, was die Kutte hielt. Sie brachten eine zu Besuch angereiste deutsche Schwester nach Santa Cruz zum Flughafen und so kam ich noch zu einem kostenlosen und deutlich verkürzten Transport mit meinen zwei Koffern, die einen Gewichtheber an den Rand seiner Fähigkeiten gebracht hätte.

All diese (mehr oder minder) rührseligen Momente lasse ich nun Revue passieren, während im Schein einer Bienenwachskerze eine Träne auf das Papyrus vor mir tropft. In bittersüßer Erinnerung an mein nicht immer fest eingestecktes Jahr in Bolivien...
Geschenke von den Kindern (ich dachte, sie hassten mich total)

Ne Spaß. Tränchen sind zwar ein paar geronnen, aber wie mir alle ununterbrochen versichern: Du gewöhnst dich auch hier wieder ein (Hallo? Ich hab hier noch nicht EIN cunape gesichtet), du solltest dich über das Wiedersehen mit deiner Familie (oder dem Häufchen Nasen, die davon übrig geblieben sind) freuen, denk nur an all die coolen Dinge, die du hier wieder unternehmen kannst (Fahrradfahren im Regen? Um fünf Uhr nachmittags die Lampe einzuschalten, weil die Sonne im Winter ab halb fünf nachmittags auch keinen Bock mehr hat?)
Aber ja. Ich kann nicht leugnen, dass mir der Blick aus meinem Fenster auf  hohe, hellgrüne Bäume gefällt. Ach ja, und da wären noch solche Sachen wie Bier. Eine warme Dusche. Wlan (und das schreibe ich mit großer Scham hier hinein).
Ich gebe mein Bestes, um kein alle verbessernder Weltretter zu sein. Man sieht sich!
P.S.: Ein Video voller Bilder, die meine Eindrücke in Bolivien von Anfang bis Ende widerspiegeln, findet ihr hier:
https://www.youtube.com/watch?v=5xxSbIXgfeQ


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Freitagskram

Hier mal wieder eine kreuz und quere Ausschüttung meiner Gedanken der letzten Stunden:  - Lasst uns einen Moment innehalten und dankbar sein, was Medizin heute alles bewirken kann. Welch eine Macht! Immer, wenn sich mein Körper auf unerwünschte Weise meldet, wird mir bewusst, wie großartig Medikamente und ihre Entdeckung sind: Wie toll ist es, keine Schmerzen mehr zu haben, den Antrieb zu steigern und die grauen Schleifen, die unsere Hirne manchmal unnötigerweise ziehen, umzulenken? Danke an all die Menschen, die sich unermüdlich dem Ergründen von Regelkreisen, Enzymen und Wirkstoffen gewidmet haben. - Manchmal bereitet es mir eine diebische Freude, mittelalte, manchmal - aber nicht immer - grantige deutschen Mittelstandsbürger:innen irgendwie zu provozieren oder zumindest zu entrüsten. Das tue ich, indem ich zum Beispiel meine Strumpfhose in der Öffentlichkeit aus- oder anziehe (schließlich verschätzt man sich im deutschen Frühjahr und Herbst gerne mal um 5-10 Grad in der Temperat...

Völlig losgelöst

Ich habe kein Wlan zuhause. In meinen Ohren klingt das wie ein Steinschlag, schwer und vernichtend. Soziale Zusammenkünfte bei mir: nicht möglich. Mit einem gewissen Unbehagen lasse ich diese Hiobsbotschaft beim täglichen Plausch mit Freunden fallen. Ich manövriere mich ins soziale Abseits, weil ich Fragen nach einem Besuch bei mir immer wieder ausschlagen muss und keiner mir mittlerweile die Nummer mit dem Internet abkauft. Come on, seriously? Wir leben in 2018, das Einzige, was man ohne Internet kann, ist Hackfleisch braten, Schätzchen. Digital Detox okay, aber gezwungenermaßen ohne Internet, das kannst du deiner Oma erzählen. Ich muss mir immer wieder selbst versichern, dass ich nicht lüge, weil ich ein Misanthrop bin und niemanden zu mir einladen möchte. Aber es ist die Wahrheit, so glaubt mir doch! Ich komme mir vor, als lebte ich in der russischen Tundra anstatt in einer (ost-)deutschen Großstadt. Abgeschnitten, abgehängt, zurück in den 80ern. Ich decke mich mit Büchern ein...
Aus dem letzten Loch pfeift sichs auch irgendwie. Wenn sie dir sagen, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Trotzgefühl her. Doch. Es geht, und wie es geht.  Es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich keine Zweifel habe. Die werde ich immer haben. Allein schon deshalb wäre ich nie diejenige gewesen, die zum Mond fliegt. Da könnte viel zu viel schief gehen. Ach, und ist das überhaupt ein erstrebenswertes Ziel, den Mond zu betreten? Dürfen wir das überhaupt? Gibt es nicht Wichtigeres zu tun? What about this, what about that... Der Zweifel als Konstante. I bims, 1 Unsicherheit.  Nichtsdestotrotz und darüber hinweg geht's weiter. Irgendwie geht's immer, und zwischendurch sogar ganz gut. Wer hätte das gedacht? Ich nicht. Trotz und Selbstbehauptungswillen (und Sturheit - nicht stolz drauf) sind mächtige Triebkräfte. Wenn auch nicht immer in die richtige Richtung.  Dabei weiß ich manchmal nicht, ob ich gerade wirklich weiter komme oder einfach weiter mache . Bewegt sich etwas vo...